Gerne verweise ich zum Jahrestag des 7. Oktober in Auszügen auf einen Artikel von Michael Roth (SPD) in ntv. Gerade weil es ein nicht christlich begründeter Beitrag ist. Ich finde es ermutigend, dass es diese Stimme in der Regierung und der SPD noch gibt.
- Den ganzen Text liest man im Original: https://www.n-tv.de/politik/Warum-ich-an-der-Seite-Israels-stehe-gerade-jetzt-article25266960.html
Der 7. Oktober steht für den größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust.
Der seither tobende Krieg in Nahost polarisiert. Die Netanjahu-Regierung verprellt Israels Freunde. Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, erklärt, warum er dennoch unbedingt solidarisch bleibt mit Israel.
In der hitzigen Debatte über Krieg und Frieden im Nahen Osten erfordert es derzeit eine gehörige Portion Mut und innere Überzeugung, sich an die Seite Israels zu stellen. Durch die israelische Bodenoffensive gegen die Infrastruktur der terroristischen Hisbollah im Libanon ist der Rechtfertigungsdruck nicht kleiner geworden. Freunden Israels wie mir wird eine falsch verstandene Solidarität mit der umstrittenen Netanjahu-Regierung unterstellt. Ich erlebe eine Art Bekenntniszwang, den ich sonst bei keinem anderen Land kenne. Als Freund Israels soll man immer erst mal mantraartig erklären, in welchen Punkten man der israelischen Regierung nicht folgt. Auch in etablierten Kreisen steht das Bekenntnis zur Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson, das aus der deutschen Verantwortung für die Verbrechen des Holocausts folgt, inzwischen nur noch an zweiter Stelle. Aus dem klaren “Ja” zur Sicherheit des jüdischen Staates ist bei vielen ein verdruckstes “Ja, aber” geworden, bei dem das “Aber” mehr und mehr Raum einnimmt. Es verfestigt sich zunehmend eine Äquidistanz in diesem Krieg, die mich fassungslos macht. (…)
Deutschland ist mir fremd geworden
Dass einige meine Haltung als unkritisch empfinden, ist mir bewusst. Aber in den vergangenen Monaten hatte ich mitnichten den Eindruck, dass es im Rest Deutschlands eine unkritische Debatte über das militärische Vorgehen Israels gegen die Terrororganisation Hamas gibt. Im Gegenteil: Ich nehme die Debatte inzwischen als ziemlich einseitig wahr, da kaum noch über die eigentliche Ursache dieses Krieges geredet wird: Das Massaker vom 7. Oktober 2023 mit mehr als 1.200 Toten, das in Israel tiefe Wunden geschlagen und zu einer großen Traumatisierung geführt hat. Der größte Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust.
Eine wachsende Zahl von Deutschen sieht inzwischen keinen unmittelbaren Zusammenhang mehr zwischen dem Hamas-Terror und dem Krieg, der seit einem Jahr in Gaza tobt. Während die Kämpfe noch laufen, hat Israel den Krieg der Bilder, den Krieg um die öffentliche Meinung längst verloren. Kaum noch jemand spricht vom Schicksal der rund Hundert israelischen Geiseln, die immer noch in der Gewalt der Hamas sind. Auf der anderen Seite gibt es in weiten Teilen der Gesellschaft einen völlig losgelösten Blick auf das Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser, die per se und ausschließlich Opfer sind. Es hat mich erschüttert, dass sich Menschen, die ich bislang schätzte, mit dem Terror solidarisiert und ihn als legitimes Streben nach palästinensischer Selbstbestimmung umgedeutet haben.
Der 7. Oktober hat auch meinen Blick auf mein Land verändert. Ich habe den grassierenden Antisemitismus unterschätzt. Um den Antisemitismus alter und neuer Nazis wusste ich, auch um den Hass auf Israel unter Muslimen. Aber dass in meinem eigenen linken Milieu die Gründung des Staates Israel als Antwort auf den von Deutschen begangenen Holocaust ausgeblendet wird, Israel als kolonialistischer Apartheidstaat verunglimpft und Jüdinnen und Juden an deutschen Universitäten und Schulen, auf deutschen Straßen und Plätzen bedroht und angegriffen werden, schockiert mich zutiefst. Ich dachte, wir hätten mehr aus unserer Geschichte gelernt. Ich habe mich geirrt. Deutschland ist mir fremd geworden.