Standpunkt: Wir leiden unter dem pelagianischen Menschenbild (aus: Hanniel bloggt)

Diese interessante Kolummne aus “Hanniel bloggt” möchte ich zur Diskussion stellen:

Veröffentlicht am von Holger Lahayne hat einen lesenwerten Beitrag “Augustinus und Pelagius” verfasst. Ich glaube, dass wir heute unter der Re-Pelagianisierung der Kirche leiden. Die Wirkung ist sehr subtil. Um was geht es?

Der Pelagianismus – nach dem Vater der Lehre, dem britischen Mönchen und in Rom wirkenden Theologen Pelagius (ca. 350–420) – leugnet die Erbsünde und damit die radikale Verdorbenheit des Menschen. Der gefallene Mensch wird positiver gesehen, als es der biblischen Botschaft entspricht. Natürlich wird so etwas gerne geglaubt. „Der Menschengeist hat nichts lieber, als wenn man ihm Schmeicheleien vormacht“, so schon Johannes Calvin in seiner Institutio (II,1). In dem Kapitel erläutert der Reformator die Erb- oder „Ursünde“, die damals wie heute äußerst anstößig ist: „Dem gemeinen Menschenverstand ist nichts so befremdlich, als dass wegen der Schuld eines Menschen alle schuldig sein sollten“. Unsere Sünde besteht nicht nur in der Nachahmung Adams, wie Pelagius lehrte. Wir sind nach dem Fall nicht nur unvollkommen, krank, verführbar; das Übel ist viel radikaler: der Mensch ist geistlich tot (s. z.B. Ef 2,1). …

Gegen die Erbsünde kämpfte im 19. Jahrhundert vor allem Charles G. Finney (1792–1875) und verbreitete ein (semi-)pelagianistisches Menschenbild: Wir werden moralisch neutral geboren und können das Gute oder das Böse frei wählen. Der einflussreiche Evangelist: „Der Sünder hat alle Möglichkeiten und die natürliche Fähigkeit Gott perfekt zu gehorchen.“ Finneys Pfad folgen bis heute sehr viele Gläubige, absurderweise gerade die aus jungen, dynamischen, evangelisierenden Gemeinden. Dies hat auch mit der Verlust und der Nichtbeachtung des reichen theologischen Erbes der Vergangenheit zu tun. James I. Packer bemerkte treffend: „Pelagianismus ist die natürliche Häresie von eifrigen Christen, die an Theologie kein Interesse haben.“

Wir tun gut daran, uns den Konflikt aus dem 5. Jahrhundert näher anzusehen. Das augustinische Gnadenverständnis ist der Schlüssel für das Zurechtrücken des Menschenbildes.

Das Wesen der Gnade besteht darin, dass sie voraussetzungslos, frei und ohne jede Vorbedingung oder menschliche Mitwirkung von Gott geschenkt wird. Die Rettung des Menschen ist allein Gottes Werk. – Wäre es nicht so: Wie könnte Gott sonst souverän und allmächtig sein? – Anderseits: Wie kann Gott der Richer des Menschen sein, wenn der Mensch selbst keine Verantwortlichkeit und also keinen freien Willen hat? Dieser Einwand ist Augustinus nicht unbekannt. Das Verhältnis von Gnade und Willen rückt damit in den Mittelpunkt des Interesses. Augustin entgegnet: Des Menschen Wille ist wohl frei in der Entscheidung für diese oder jene Tat, aber er ist nicht frei im Blick auf das Heil. Auf sich selbst gestellt, neigt der menschliche Wille zum Bösen, zur Rebellion gegen Gott. Der Wille muss von Gott selbst bereitet werden, damit er das Gute, das Heil, wollen kann. Es gibt also eine gewirkte Freiheit – die wahre Befreiung durch Gott dazu, das Gute zu wollen. Eine autonome menschliche Freiheit gibt es jedoch nicht.

Wie denken meine Leser?

3 Gedanken zu „Standpunkt: Wir leiden unter dem pelagianischen Menschenbild (aus: Hanniel bloggt)

  1. Warum, so frage ich mich seitdem ich dieses Argument kenne, sollte die Souveränität Gottes aufhören, wenn ein duch das Evangelium angesprochener Sünder Buße tun WILL? Gott fordert Sünder auf eine Willensentscheidung zu treffen. Ist es nicht gerade souverän, den Sünder wählen zu lassen, Tod oder Leben? Und die Souveränität liegt doch darin begründet, dass Gott Tod und Leben in seiner Hand hält.

    1. So sehe ich es auch.
      Die Sorge Gott würde zu klein ist überhaupt nicht das Thema. Was sagt die Schrift? Wähle das Leben!
      Noch viel weniger sehe ich Wegksgerechtigkeit:

      Glaube ist kein Werk (Römer 4)

  2. Um gleich selbst anzufangen:

    Ich teile die wesentliche Aussage der Diskussion. Jedoch kann ich nicht nachvollziehen, warum der Einwand ungültig sein soll, dass der Mensch auf Gottes Anruf eine sinnvolle Antwort geben können muss?! Dies scheint mir der schlichte Sinn der relevanten Bibeltexte zu sein: niemand kann zu Gott kommen, wann und wie er lustig ist. Aber wenn Gott geredet hat, kann und muss der Mensch antworten. Das dies gleichzeitig eine Wirkung des Heiligen Geistes ist bleibt unbestritten (Joh 16).

    Wenn jedoch das Antworten nur und ausschließlich durch eine “gewirkte Freiheit” seitens Gottes ermöglicht wird, schließt sich der Kreis: dann bleibt es dabei, dass alle Diskussion um eine Apologetik der Erwählung und allgemeiner der Heilsaneignung umsonst ist.

    Warum kann man nicht auch hier dialektisch bleiben: 100% Gottes Werk, aber auch ganz menschliche Verantwortung?

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