Gäbe es nicht das unglaubliche Versagen des Establishments in Brüssel und den europäischen Hauptstädten, mit ihrer Vielzahl an Skandalen, auch derer, die jetzt im Amt sind, gäbe es auch keine Anti-Europa-Welle in der Gesellschaft.
Der Brexit bringt es auf den Punkt: die Entscheidung von 17 Mio. Briten aus der EU auszusteigen entstammt nicht einer vernünftigen Einschätzung und sorgfältigen Abwägung der Vor- und Nachteile, die eigentlich mit einem solchen Schritt verbunden sein sollten, sondern dem dumpfen Gefühl der vernachlässigten Mehrheit, dass die „da Oben“ weg müssen, egal was danach kommen mag …
Aber so haben wir …
- … eine nach reinem Machtproporz erfolgte Installation der mächtigen EU-Kommission, einer Quasi-Regierung ohne demokratische Legitimation, …
- … völlig undurchdringbare Staatsfinanzierung durch die EZB mit Steuergeldern souveräner Staaten und der gleichzeitigen Demütigung der verschuldeten EU-Staaten durch „die Institution“, ohne das auch nur 5% beim Volk ankommt; selbst langjährige Staatspapiere drehten kürzlich ins Minus …
- … peinlich platte Antworten auf Krisen (wie bei der massenhaften Migration); ein „Wir schaffen das“, ohne auch nur ansatzweise die Situation zu kennen, bzw. begründete Einwände und Sicherheitsbedenken mit einem Handstreich wegzuwischen, …
- … einen verlogenen Flüchtlings- Deal mit der demokratiefreudigen Türkei und eine angeblich nicht gewollte „Grenze-dicht-Lösung“, die Österreich mit den Osteuropäern (eine neue KuK-Verbindung) gegen Deutschland durchsetzte (nur von Januar bis Ende Mai diesen Jahres sind laut der UNHCR 2.510 Menschen im Mittelmeer ertrunken) …
- … die mit jedem Terroranschlag in stoischem Gleichmut wiederholte vorgebliche Friedliebigkeit des Islam – in nahezu böswilliger Trennung vom real existierenden Islams (die Türkei ist das fortschrittlichste muslimische Land, was Menschenrechte betrifft …) – fromm vorgetragen von „Islam-Experten“ in Fernseh-Talkshows, usw. , …
- … eine in Teilen gleichgeschaltete Presse, die sich bisweilen so aufführt, als wäre sie das Presseorgan der Regierung – statt ihr Korrektiv – und als gäbe es den Bedarf von aufklärerischen Journalismus nur auf der rechten Seite des politischen Systems …
Drei Beispiele vom 29.06.2016
- Nur wenige Tage nach dem Brexit stellen die übriggebliebenen EU-Regierungen schnoddrig fest, dass es keinen Handlungsbedarf für EU-Reformen gäbe (nach dem Motto, „die Briten sind ja jetzt weg“): die bestehenden Reglungen müssten nur angewendet werden …
- Taggleich wird berichtet, dass EU-Kommissionspräsident Juncker davon ausgeht, das Handelsabkommen mit Kanada (Ceta) allein in Brüssel zu beschließen, ohne die nationalen Parlamente befragen zu müssen. Selbst die Linken kritisieren die EU-Kommission (sicher auch aus populistischen Gründen) dafür! Nur die SZ zeigt als „Presseorgan der EU“ großes Verständnis, da dieser Handelsvertrag nun einmal ausschließlich im Verantwortungsbereich der EU läge: welche Vorbereitung der EU-Bürger auf das zu erwartende Prozedere beim TTIP-Abkommen indem bis heute die Verträge nicht offen gelegt werden: wie aber dann darüber befinden (durch wen auch immer …)?
- Ebenfalls am gleichen Tag wird in Luxemburg der Lux-Leaks-Whistleblower Antoine Deltour zu 12 Monaten Haft auf Bewährung nebst Geldstrafe verurteilt. Seine Tat? Er legte als Mitarbeiter einer großen Beratungsfirma durch den Diebstahl von zigtausenden Dokumenten die Steuerpraktiken Luxemburgs offen, die belegen, dass Luxemburg seine Nachbarländermit unlauteren Methoden um Milliarden Steuereinnahmen brachte. Klar, er kommt nicht aus den USA: also keine Solidarität mehr mit Whistleblowern, sondern nur noch mit Regierungen –wer war damals nochmal Regierungschef in Luxemburg? Ach ja, Premierminister Jean-Claude Juncker, der heutige EU-Kommissionspräsident …
Gäbe es nicht die korrupten europäischen Eliten und ihre „gefühlte“ Auswirkung auf die Bevölkerung in den Nationalstaaten, gäbe es auch keinen (rechten) Populismus in Europa, der – wie es aktuell in immer mehr Ländern Realität wird – politische Machtverschiebung auslöst!
Trotz dieser emotionalen Seinslage bzgl. des Verhältnisses arroganter Eliten und aggressiver (Wut-) Bürger sagt Bundespräsident Joachim Gauck im Interview mit Tina Hassel (im „Bericht aus Berlin“, am 19.06.2016, ab Minute 11:03 ff):
„Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem.“ *) – Im Zusammenhang in dem Sinne gemeint, dass die Bevölkerungen irrationaler Weise Angst habe nicht mehr Polen oder Portugiesen sein zu können. Sie müssen also erklärt bekommen, dass sie eine falsche Wahrnehmung haben und alles so viel besser ist, als sie es wahrnehmen! Ja, die Geschwindigkeit der Osterweiterung war ggf. zu schnell, aber der Kurs der EU an sich war und ist in Ordnung …
Dabei ist schon längst festzustellen, dass die Bevölkerung dabei ist sich Ihrer Eliten zu entledigen:
- in Italien erobert die populistische „5-Sterne“-Bewegung im Handstreich die Mehrheit in der Hauptstadt Rom und auch in Turin (scheitert knapp in Mailand)
- in Deutschland versinkt die SPD in die Bedeutungslosigkeit, während die AfD in die Prozentsätze der „Volksparteien“ aufsteigt
- in Österreich stellen die „Freiheitlichen“ fast den Bundespräsident (die höchstrichterliche Nachprüfung der Wahlauszählung führt im Herbst 2016 zur Wahlwiederholung)
Um von Frankreich, Niederlande und den Osteuropäern besser gleich ganz zu schweigen …
Nur die Eliten weigern sich standhaft das wahrzunehmen:
Trotz der Dynamik in der Abwahl des Establishments durch den Populismus, ist es dem offiziellen Europa nicht zu peinlich diese Umbrüche an den politischen Rändern als belanglos wegzudeuten:
- Frau Merkel erklärte z.B. in den Landtagswahlen 2016, trotz des Durchmarsches der AfD, ihre CDU faktisch zum Wahlsieger.
- Die SPD Sigmar Gabriels setzt sich im Zuge des aufkommenden Wahlkampfgetöses zum Bundestagswahlkampf 2017 tapfer weiter nach links ab (wohl um vollends unter zu gehen).
- Der italienische Regierungschef Renzi sieht keine Bedeutung darin, dass die Hauptstadt des Landes und Turin an die „5-Sterne“-Bewegung ging und Mailand nur knapp bei den etablierten Parteien verblieb, usw.
Egal ob das Vereinigte Königreich wegbricht (immerhin eine demokratische Wahl, auch wenn Martin Sonneborn anmahnte für die Jugend eine youtube-app herauszubringen, die klar macht wie und wo man ein Kreuzchen machen muss …), ob in Spanien eine mit Korruptionsvorwürfen belastete konservative Regierungspartei auch im 2. Anlauf keine Mehrheit zusammen bekommt, ob Deutschland bei der nächsten Bundestagswahl vorhersehbar in die Blockade gerät, oder ob Griechenland wirtschaftlich und politisch an die Wand fährt … – die Devise lautet: „Weiter so!“
Die Lösung läge hingegen auf der Hand und steht schon seit Jahrtausenden im alten Buch:
Jesaja 30,15: Denn so spricht der Herr, HERR, der Heilige Israels: Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet. In Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke. Aber ihr habt nicht gewollt.
Dies würde nichts anderes, als eine Abkehr von der Globalisierung bedeuten – und eine Anerkenntnis, dass parallel dazu eine schleichende und zerstörerische Fragmentierung einhergeht:
- Globalisierung: EU- und NATO-Erweiterung im Affentempo, Handelsabkommen (TTIP, CETA), etc.
- Fragmentierung: Zusammenbruch der UdSSR und auch von Jugoslawien, drohende Abspaltung Schottlands, Kampf für Unabhängigkeit in Spanien, Frankreich und Italien – sogar innerhalb Deutschlands, gibt es eine unverkennbaren Kulturkampf zwischen Nord und Süd ..
Es hat damit zu tun, dass sich Menschen in Regionen denken (mit Ihren spezifischen Traditionen), denn in supranationalen Gebilden. Schon der Nationalstaat bildet in Teilen nicht mehr die Lebenswirklichkeit aller Bundesbürger ab, wieviel weniger eine Monster wie die EU? Es gilt, die Existenz von Grenzen in ihrer vielfachen Gestalt (Charakter, Pädagogik, Philosophie, Geologie, Kultur, Schaffenskraft, – und, ja auch von Politik und Staaten) als eine nicht zu verleugnende Tatsache zu begreifen, die auch positiv ist.
Mit Verweis auf die große Rede des Pioniers “europäischer Kultur” auf dem Aereopag in Athen – vor den Philosophen seiner Zeit – kann man sogar sagen, dass Grenzen von Gott gesetzt sind:
Oder, um es mit zwei christlichen Barden des ausgehenden 20. Jhdt. zu sagen:
“Denn wer keine Wände hat, hat auch kein Haus – echtes Frei-Sein schließt das nicht aus!” (Arno + Andreas, in: “Zauberwort Freiheit”)
Gesunder Menschenverstand, Empathie, Fähigkeit zur Umkehr, Demut und wie die notwendigen Tugenden auch heißen mögen (um ein Volk zu führen ***)), sind charakterliche Größen die der Gesellschaft abhanden gekommen sind. Eindeutige Schuldzuweisungen sind nach Dürrenmatt gar nicht mehr möglich: „Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt.“ Daraus schließt er: „Uns kommt nur noch die Komödie bei“ …
Da bleibt dem Frommen – im Erinnern an ein Zitat von Gustav Heinemann, zum Abschluss des ersten offiziellen evangelischen Kirchentag in Essen (1950) – nur ein heiseres „Kyrie eleison“ (“Herr erbarme Dich”) :
„Unsere Freiheit wurde durch den Tod des Sohnes Gottes teuer erkauft. Niemand kann uns in neue Fesseln schlagen, denn Gottes Sohn ist auferstanden. Lasst uns der Welt antworten, wenn sie uns furchtsam machen will: Eure Herren gehen – unser Herr aber kommt!“ **
– Maranatha! („Unser Herr, komm!“)
Bildnachweis:
Einstieg: BBC
Abschluß: Gustav Heinemann (stehend) auf der Generalsynode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Januar 1949- https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Heinemann
Fußnoten:
*) http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-192999%7E_bab-sendung-299.html
**) https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Heinemann
***) vgl. die Anweisung für Gemeindeleiter im NT (1Timotheus 3)