… wie frei kann der Mensch noch sein?
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Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.
(Arthur Schopenhauer)Sicher werdet ihr mich jetzt fragen: Wie kann Gott dann noch von unserer Schuld sprechen? Wer kann denn etwas gegen Gottes Willen unternehmen?
(Paulus in Römer 9,12)
Wenn Gott sowieso alles kontrolliert, können wir dann wirklich noch von Freiheit reden? Wenn Gott sogar (wenn auch auf geheimnisvolle Art und Weise) Einfluss auf unsere Entscheidungen nimmt, gibt es den freien Willen dann überhaupt? Dies ist die häufigste Frage, die immer dann gestellt wird, wenn man die göttlichen Merkmale der Allmacht und Allwissenheit herausstreicht – so wie ich das im letzten Artikel getan habe.
Göttliche Allmacht – menschliche Freiheit. Die Bibel hält diese beiden Aspekte scheinbar mühelos zusammen, wie wir sehen werden. Doch zunächst einmal verschaffen wir uns einen Überblick über die beiden prominentesten (philosophischen) Positionen zum Thema ‘freier Wille’ – dem Kompatibilismus und dem Libertarismus. Philosophisch könnte man hier ziemlich tief tauchen, was wir vermeiden wollen. Wir werden versuchen, unser Schifflein fest am Ufer anzutauen, damit es nicht zu sehr abdriftet.
Kompatibilistische Freiheit
Freiheit im kompatibilistischen Sinn bedeutet, dass der Mensch frei ist, das zu tun was er will. Für mich entspricht diese Freiheit dem biblischen Verständnis des Menschen.
Wenn ein guter Mensch spricht, zeigt sich, was er Gutes in seinem Herzen trägt. Doch ein Mensch mit einem bösen Herzen kann auch nur Böses von sich geben. Denn wovon das Herz erfüllt ist, das spricht der Mund aus! (Lukas 6,45)
Wir reden und handeln entsprechend unserem Charakter. Wir folgen den Sehnsüchten in unseren Herzen. Also handeln wir frei – wir entscheiden und handeln so, wie es uns entspricht, wie wir es fühlen und wollen. Anders gesagt, wir handeln nicht gern gegen unseren Strich. Umgekehrt, wenn wir etwas tun (müssen), das wir nicht tun wollen, dann sind wir nicht frei, sondern werden von aussen durch irgendwelche Personen oder durch Umstände dazu ‘gezwungen’.
Wenn ich zum Beispiel die Steuererklärung ausfüllen muss/darf/will, weil der Termin sie einzureichen gefährlich nahegerückt ist, dann handle ich vielleicht nicht völlig frei – ‘Ich würde mir lieber einen Film anschauen’ wäre eine freiere Entscheidung für mich. Ich bin durch die Umstände veranlasst, mich dafür zu entscheiden, sie auszufüllen. Doch um die ganze Sache noch etwas komplizierter zu machen, handle ich vielleicht doch frei weil ich will, dass ich diesen Punkt endlich von meiner Liste abhaken kann. Ich würde zwar lieber einen Film schauen, aber noch lieber ist es mir, meine Aufgabe erledigt zu haben. Es gibt hier ein Gewichten der unterschiedlichen Wünsche und wie stark oder dringlich sie sind.
Egal wie man es dreht und wendet, beim Kompatibilismus bin ich letztlich frei, das zu tun was ich ich will, was ich mir zutiefst wünsche und was mir am meisten entspricht (ausser natürlich in den Fällen, in denen ich wirklich ‘gegen meinen Willen’ zu etwas gezwungen werde).
Trotzdem findet mein Wollen und Entscheiden nicht in einem hermetisch abgeriegelten Raum statt, einem Raum in dem ich immer zwei Wahlmöglichkeiten ganz neutral vor mir liegen habe und mich dann komplett frei für das eine oder andere entscheiden kann. Ich bin eben bereits ein geformtes Wesen, mein Charakter hat sich durch verschiedene, so auch äussere Einflüsse gebildet. Ich bin Teil einer Gesellschaft, die mich formt und prägt. Meine innersten Wünsche können – wie die Bibel es sieht – von der Sünde in Beschlag genommen werden. Es stimmt immer noch: Ich entscheide frei für das was ich will. Aber diese Entscheidung ist ein komplexes Amalgam verschiedenster Faktoren und in keiner Weise ‘unbeeinflusst’. John Frame fasst kompatiblistische Freiheit darum so zusammen:
Sogar wenn jede Handlung, die wir ausführen, letztlich durch etwas außerhalb von uns selbst verursacht wird (z. B. durch natürliche Ursachen/Umstände oder Gott), sind wir dennoch frei, da wir immer noch gemäß unserem Charakter und unseren Wünschen handeln können. (aus The Doctrine of God, S. 136)
Das biblische Menschenbild lässt sich meines Erachtens am besten als kompatiblistische Freiheit beschreiben. Der Mensch ist ein freier Agent, der für seine (Fehl)Entscheidungen zur Verantwortung gezogen wird. Trotzdem steht Gott in einer für uns nicht erklärbaren Art und Weise hinter allen Entscheidungen und baut sie in seinen Plan ein. Theologisch-philosophisch spricht man in diesem Zusammenhang davon, dass Gott durch sogenannt sekundäre Mittel (wie eben unsere Entscheidungen) wirkt. Es sind immer noch wir, die entscheiden, aber Gott baut seine Basilika durch jede einzelne unserer menschlichen Entscheidungen, die er souverän zu einem Gesamtkunstwerk zusammenfügt. Eine der besten Stellen um das zu beobachten, findet sich im Jakobusbrief:
Nun zu euch, die ihr sagt: »Heute oder spätestens morgen werden wir in die und die Stadt reisen! Wir werden ein Jahr lang dort bleiben, werden Geschäfte machen und werden viel Geld verdienen! «Dabei wisst ihr nicht einmal, was morgen sein wird! Was ist schon euer Leben? Ein Dampfwölkchen seid ihr, das für eine kleine Weile zu sehen ist und dann wieder verschwindet. Statt solche selbstsicheren Behauptungen aufzustellen, solltet ihr lieber sagen: »Wenn der Herr es will, werden wir dann noch am Leben sein und dieses oder jenes tun.« (Jakobus 4,13-15)
Hier werden die Relationen eindeutig klar gemacht. Ja, wir Menschen haben Pläne, die wir (kompatiblistisch) verfolgen wollen. Aber wie es letztlich kommen wird, liegt nicht in unserer Hand. Es gibt zu viele verschiedene Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, wie das Wetter, andere Menschen, dass wir krank werden usw. Aber Gott weiss, was er will, und das wird geschehen!
Libertarische Freiheit
Diese Position ist der Auffassung, dass der menschliche Wille die inhärente Kraft besitzt, neutral zwischen zwei gleich starken Alternativen zu entscheiden. Neutral in dem Sinne, dass wir hier nicht in eine vorbestimmte Richtung gepusht werden. So erklärt man sich beispielsweise, dass wir manchmal völlig überraschende Entscheidungen treffen. ‘Das hätte ich nie von dir erwartet’, oder ‘das ist ja komplett gegen deine Natur’ würden wir dann sagen. Libertarische Freiheit heisst, dass wir ganz unbeeinflusst und unabhängig von anderen Faktoren wie Gott, Gesellschaft, paradoxerweise selbst ‘losgelöst von uns’ (wir können ja selbst gegen unseren Charakter oder unsere Grundsätze entscheiden) zu einer Entscheidung kommen. Oder wie Frame es formuliert: “Wir sind die erste Ursache unseres Handelns.” Er fährt fort:
Diese Position geht davon aus, dass es einen Teil der menschlichen Natur gibt, den Willen, der unabhängig von allen anderen Aspekten unseres Wesens besteht und der daher eine Entscheidung treffen kann, die selbst unserer eigenen Motivation zuwiderläuft. (The Doctrine of God, S. 138) [1]
Der Unterschied zum Kompatibilismus liegt hier offen auf der Hand. Für einen Libertarier ist Freiheit nur dann gegeben, wenn der Mensch in einem von Gott unabhängigen Raum entscheiden kann. [2]
Wieso ist diese Freiheitsauffassung problematisch, besser gesagt unvereinbar mit einem biblischen Menschenbild? Ich möchte folgende Punkte nennen:
- Die Bibel geht eindeutig davon aus, dass Gott auch menschliche Entscheidungen, selbst sündige Entscheidungen beeinflussen kann, wie wir später noch genauer sehen werden. Der Mensch ist also (zumindest in diesen biblischen Fällen) nicht autonom unterwegs.
- Die Bibel spricht nirgendwo von libertarischer Freiheit. Das heisst, sie spricht nie jemanden frei, der eine böse Tat getan hat, aber im libertarischen Sinn unfrei, also nicht autonom war. Sie geht gar nicht auf eine solche Unterscheidung ein. Wer etwas Böses getan hat, trägt die Verantwortung, egal ob er jetzt hundertprozentig ‘frei’ und ‘unbeeinflusst’ gehandelt hat oder ob seine Entscheidung durch andere Faktoren ‘mitbeeinflusst’ wurde (was ja meistens der Fall ist, oder?). Mildernde Umstände kann es nur geben, wenn jemand ‘unbeabsichtigt’ oder unwillentlich gehandelt hat.
- Selbst in unserer Gerichtsbarkeit wird libertarische Freiheit nicht vorausgesetzt. Wie sollte man prüfen können, ob eine Tat ‘unbeeinflusst’ war? Frame meint: “Es ist immer schwierig, etwas Negatives zu beweisen, und es wäre offensichtlich unmöglich zu beweisen, dass eine innere Entscheidung … völlig unabhängig von einem göttlichen Beschluss, einer natürlichen Ursache, seinem eigenen Charakter oder Motiv getroffen wurde.” (S. 141) Im Gegenteil geht man doch gewöhnlich vom Motiv des Täters aus und prüft, ob ein solches Motiv vorhanden war.
- Die Bibel verurteilt Taten, die nicht unter einem libertarischen Label eingeordnet werden können, wie der Verrat des Judas, der von Gottes langer Hand geplant und also von ihm gewollt (und also auch bedingt/herbeigeführt) war.
- Die Bibel sieht eine klarer Korrelation zwischen unserem Charakter und unseren Handlungen (siehe Lukas 6,45). Der Wille ist keine separate, autonome Instanz, sondern Teil des ganzen Menschen. Die Frage ist, welches Menschenbild wir als normativ betrachten.
Und wie erklären wir den Fakt, dass der Mensch im Himmel nicht mehr frei zu sündigen ist? Das wäre ja eine krasse Einschränkung seines freien und autonomen Willens. Noch absurder, Gott wäre dann auch nicht frei, da er immer im Einklang mit seinem Charakter und also nie gegen seinen Charakter handelt (‘Gott kann nicht lügen’, zum Beispiel).
Menschliche Freiheit und göttliche Souveränität in der Bibel auf einen Blick
- Weiterlesen im Original: https://www.mindmatt.com/post/wenn-gott-es-sowieso-schon-weiss-wie-frei-kann-dann-der-mensch-eigentlich-noch-sein
- Bildnachweis: https://pixabay.com/de/vectors/gott-herr-sch%C3%B6pfer-allm%C3%A4chtig-3824367/