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Buchrezension: Ehe, Familie und Agamie

gekürzte Buchrezension von Markus Schäller: https://christusforum.de/aktuelles/meldungen/Buchrezension-Ehe-Familie-und-Agamie.php

Ehe, Familie und Agamie

von Matthias Becker

Das unscheinbare Büchlein mit dem Titel „Ehe, Familie und Agamie“ im Format 18 x 11,5 cm könnte neben den dicken Wälzern im Regal glatt übersehen werden, aber seine 239 Seiten haben es in sich.

Sein Autor: Ein sympathischer, relativ junger Professor für Neues Testament an der renommierten Universität Heidelberg. Matthias Becker ist Altphilologe und Theologe. D.h. er geht mit hoher Fachkompetenz zu Werke, was das Verständnis antiker Texte im Umfeld des Neuen Testaments betrifft.

In der aktuellen Debatte um die christliche Sexualethik werden mitunter Zitate antiker Autoren selektiv aus dem Zusammenhang gerissen, um eindeutige Aussagen des Neuen Testaments auszuhebeln (Stichwort Dekonstruktion). – Da ist es so wohltuend, einen ausgewiesenen Fachmann zu lesen, der sich in der griechisch-römischen Literatur bestens auskennt. Wie das ungebräuchliche Wort „Agamie“ (Ehelosigkeit) im Titel vermuten lässt, wendet er sich an ein theologisch vorgebildetes Publikum

Der Aufbau des Buches ist gut nachvollziehbar.

  • Teil 1 gibt einen Überblick über die Vielfalt an Lebensformen und Ansichten, die das frühe Christentum im griechisch-römischen Kontext umgaben. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Autor in
  • Teil 2 die einschlägigen Texte des Neuen Testaments mit besonderem Augenmerk auf Begründungen ehe- und familienethischer Aussagen, um schließlich in
  • Teil 3 einige Konsequenzen für Theologie und Kirche in der Gegenwart zu ziehen.

Angefangen bei maßgeblichen Stimmen größter Wertschätzung der Ehe (insbes. Plutarch, Musonius Rufus, Epiktet) und den Ehegesetzen von Kaiser Augustus über Fragen sexueller Orientierung und des Geschlechterdiskurses bis hin zu derber, obszöner Dichtung (Martial, Juvenal) zeichnet Matthias Becker in Teil 1 nach, was in der antiken Welt gedacht, diskutiert und gelebt wurde: Liebesehen, Ehekritik, Scheidungen, außereheliche Beziehungen, unverheiratetes Zusammenleben, Konkubinate, Pflegeeltern, Patchworkfamilien, Abtreibungen, Pädophilie, Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität, Prostitution… Im Grunde die ganze Palette, die auch unsere Gesellschaft prägt. Allein die Darstellung der Bandbreite sexueller Vielfalt anhand belastbarer Quellen ist eine Fundgrube für jeden, der sich ein profundes Bild des Kulturkreises machen will, in dem sich frühchristliche Gemeinden zu bewähren hatten. „Im Bewusstsein der familienethisch und sexualmoralisch heterogenen Situation in den Städten des Imperium Romanum“ geht es in Teil 2 um die Frage, „wie die neutestamentlichen Autoren ihre als normativ intendierten Aussagen begründen.“ (S. 42) – Jeder, der heute vor der Aufgabe steht, eine Predigt oder einen Jugendabend über ein sexualethisches Thema zu halten, muss bei einem solchen Satz hellhörig werden.

Der Titel des Buches gibt wieder, was laut Becker die einschlägigen Texte des NT für Christusnachfolger als mögliche Lebensformen sehen: „Erstens die monogame, unverbrüchliche, christlich-endogame Ehe der Zweisamkeit von Mann und Frau; zweitens die monogame, unverbrüchliche, christlich-endogame Ehe von Mann und Frau mit Kindern; und drittens die mit Sexualverzicht einhergehende Ehelosigkeit christusgläubiger Männer und Frauen“ (S. 3; Anmerkung: „christlich-endogam“ bedeutet, dass beide Partner Christen sind). – Dies ist gewissermaßen die Quintessenz dessen, was der Autor in seinem Gang durch die biblischen Texte in Teil 2 überzeugend auf den Punkt bringt.

Mit der Untersuchung der Paulusbriefe (insbes. 1Thess, 1Kor) schlägt er eine erste wichtige Schneise, weil die Ehe von Mann und Frau als „Anti-Lebensform zu sexueller Zügellosigkeit, Bindungslosigkeit und Promiskuität“ vorgestellt (S. 45) und die theo- bzw. christozentrischen Motive christlicher Sexualethik herausgearbeitet werden.

(…)

Zu den fundamentalen Aussagen des Buches gehört die Beschreibung der Ehe von Mann und Frau. Reziprok und komplementär füreinander „geformt“ (S. 52) sind beide miteinander verbunden („zusammengeleimt“ – vgl. S. 91 FN 116), um – in einem anderen Bild gesprochen – eine „Jochgemeinschaft“ (S. 92-94) zu bilden. „Der Schöpfer des Lebens hat … die eheliche Verbindung zu einer auf Dauer ausgerichteten Beziehung und Fortpflanzungsgemeinschaft bestimmt, die – potentiell – aus der heterosexuellen Ein-Fleisch-Werdung neues Leben hervorbringt in Übereinstimmung mit dem Vermehrungsauftrag des Schöpfers“ (S. 93).

Wer sich ein umfassendes und doch knapp dargestelltes Gesamtbild neutestamentlicher Ehe- und Familien- bzw. Sexualethik wünscht, ist mit der Lektüre von Teil 2 (am besten mit der parallel aufgeschlagenen Bibel) gut beraten. Zum Abschluss dieses Buchteils werden alle Begründungen aufgelistet, die das Neue Testament bezüglich Ehe, Familie oder Ehelosigkeit enthält, wobei sich die stärksten Begründungen laut Becker „primär und maßgeblich auf drei Größen berufen: Gott, Christus und die als heilig erachteten Schriften Israels“ (S. 161).

(…)

Es gäbe noch viele weitere bemerkenswerte Aussagen hervorzuheben. Als Essenz nehme ich aus diesem Buch mit, dass der ethische Istzustand der Gesellschaft – im Römischen Reich wie heute – für Christusnachfolger keinesfalls als Norm, sondern kritisch zu sehen ist, um aus einer theozentrischen, christusorientierten und schriftbezogenen Perspektive zu prüfen, was unterstützt werden kann und was nicht.

Allen Theologen und Leitern, die sich mit der Aufgabe konfrontiert sehen, eine Gemeinde durch die raue See der schwierigen Fragen rund um Sexualethik und LGBTQ+ zu navigieren, empfehle ich dieses Buch wärmstens.

Markus Schäller, DTh (UNISA)
Leiter Biblische Lehre & Theologie im
ChristusForum Deutschland

 

 

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Becker, Matthias. 2024.
Ehe, Familie und Agamie: Die Begründung von Lebensformen angesichts gesellschaftlicher Pluralität im Neuen Testament und heute. Tübingen: Mohr Siebeck

Vollständiger Text unter:  https://christusforum.de/aktuelles/meldungen/Buchrezension-Ehe-Familie-und-Agamie.php

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