Ein Plädoyer für theologische Triage von Gavin Ortlund
Buchbesprechung von Dr. Martin P. Grünholz (Dozent für Dogmatik, Ethik, Gemeindepraxis und Kirchengeschichte an der BTA Wiedenest): Originallink
„Lasst uns doch einander den Glauben glauben.“
So klingt es nicht selten in theologischen Streitgesprächen. Gemeint ist damit, dass man sich auch bei grundsätzlichen Unterschieden, ja gegensätzlichen Positionen doch gegenseitig glauben müsse, nur das Beste zu meinen, und dass deshalb die Unterschiede nicht trennend wirken dürften. Würde man diese Haltung auf alle Themen und Diskussionen übertragen, wäre letztlich jede Position möglich, alles gleich gültig und damit gleichgültig.
Auf der anderen Seite gibt es in der Tat viele Themenfelder, in denen Christen (manchmal sogar gerne) leidenschaftlich streiten, bis hin zu Gemeindespaltungen, die eigentlich nicht nötig sind und dem christlichen Zeugnis nach außen schaden. Die brennende Frage ist aber: Wer entscheidet, welche Diskussion notwendig und welcher Streit überflüssig ist?
Gavin Ortlund stellt in seinem Buch beide Gefahren dar, die des theologischen Maximalismus, der zur Zersplitterung der Christenheit führt, und die des theologischen Minimalismus, der zum Liberalismus und zur Auflösung der Glaubensbasis führt.
Er plädiert für eine vierfache Unterscheidung (S. 52f):
- Lehren, die für das Evangelium wesentlich sind
- Lehren, die für eine Ortsgemeinde notwendig sind
- Lehren, die wichtig sind, aber weder für das Evangelium noch für die Ortsgemeinde in einheitlicher Klarheit notwendig sind
- theologisch unwichtige Themen.
Eine Gemeinde und jeder einzelne Christ sollte wissen und unterscheiden können, worüber unbedingt gestritten und notfalls auch gekämpft werden muss und wo man gelassen(er) sein kann oder sollte (S. 67f). Dabei gibt Ortlund ganz praktische Hilfestellungen, Lehren richtig einzuordnen (S. 89-95) und macht deutlich, warum die Jungfrauengeburt und die Rechtfertigung allein aus Glauben fundamental wichtige Lehren der Kategorie 1 sind (S. 98-114), eine bestimmte Taufpraxis aber eher der Kategorie 2 entspricht (S. 120-132) und wir uns bei Lehren der Kategorie 3, wie etwa einem bestimmten Verständnis des 1000-jährigen Reiches oder eines Endzeitmodells, nicht spalten sollten (S. 155-167).
Sein Buch ist gleichermaßen ein Aufruf zur theologischen Demut wie zum Mut, zentrale Themen christlicher Theologie notfalls auch hart zu verteidigen. Wir brauchen beides! Und deshalb ist dieses Buch eine spannende und anregende Lektüre.
vgl. bei brink4u
- https://www.brink4u.com/2025/01/17/ortlund-warum-gott-sinn-ergibt-tenet/
- https://www.brink4u.com/2025/02/08/warum-gott-sinn-ergibt-video/
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