Der russische Krieg gegen die Ukraine:

Darf Macht Recht brechen? Eine geistlich-ethische Beurteilung

(Teil 1)


Andreas Reh

In biblischen Bemerkungen zur internationalen Politik fallen zwei grundlegende Motive auf:

Das erste Motiv ist das Bezeugen von Gottes Allmacht, welche über dem Durcheinander der großen Politik steht und Könige einsetzt und absetzt ganz nach Seinem Willen (Dan 2:21). Auch Herrscher großer Imperien sind nicht so mächtig, wie sie gewöhnlich meinen, sondern bleiben nur so lange an der Macht, wie Gott das will.

Das zweite Motiv ergänzt das erste durch die Aspekte politischer Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Vertragstreue. Auch wenn politische Verträge und Bündnisse den Stempel irdischer Vorläufigkeit tragen, so erwartet Gott auf dieser Ebene von den Herrschern, dass sie geschlossene Verträge einhalten.

 

Die Geschichte Israels ist auch eine Geschichte internationaler Verträge, Bündnisse und Verpflichtungen.

Als König Zedekia seinen mit „bei Gott“ beschworenen Vertrag mit Nebukadnezar brach, wird das sehr aufschlussreich von Hesekiel kommentiert:

Und auch empörte er (Zedekia) sich gegen den König Nebukadnezar, der ihn bei Gott hatte schwören lassen. Und er verhärtete seinen Nacken und verstockte sein Herz, so dass er nicht umkehrte zu Jahwe, dem Gott Israels.

(2Ch 36:13)

So wahr ich lebe, spricht der Herr, Jahwe, wenn er nicht an dem Orte des Königs, der ihn zum König gemacht hat, dessen Eid er verachtet und dessen Bund er gebrochen hat, bei ihm in Babel sterben wird! (Hes 17:16)

Gott lässt Zedekia durch Nebukadnezar nach Babel bringen und dort sterben, unter anderem deswegen, weil Zedekia internationale Verträge gebrochen hatte. Ein markantes Beispiel dafür, dass die Bibel Vertragsbrüche, auch internationale, rein politische Vertragsbrüche, die auf den ersten Blick nichts mit Gott zu tun haben, verurteilt (vgl 2Kor 1:18).

Mit diesem Wissen im Hinterkopf wollen wir versuchen, ein wenig Licht in das gegenwärtige Kriegsgeschehen auf ukrainischem Boden zu bringen. Die Maxime, die uns dabei leiten, sind einerseits das Wissen darum, dass auch dieser blutige Überfall Russlands auf die Ukraine die Verwirklichung von Gottes Absichten nicht in Frage stellen kann. Andererseits müssen wir als Christen auch den Aspekt der Vertragstreue beleuchten und Verstöße gegen bestehende internationale Verträge verurteilen. Ein Studium der Zeitgeschichte sowie der internationalen Verträge und des Völkerrechts ist für Christen kein unnötiger Zeitvertreib, sondern notwendig, um daraus eine biblische Stellungnahme ableiten zu können.

 

Die Geschichte geschlossener und gebrochener Verträge

Das Ende der UdSSR wurde und wird von Putin als die „größte geopolitische Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts“ bezeichnet. Diese Deutung ist sehr aufschlussreich, offenbart sie doch eine grundlegende Missachtung selbst eigener, russischer bzw. sowjetischer Gesetze. Laut Verfassung der UdSSR von 1977 (die Version, welche zum Zeitpunkt des Zerfalls der Sowjetunion gültig war), hatte jede Sowjetrepublik das Recht, sich aus der Sowjetunion zu lösen und eine eigene souveräne nationalstaatliche Politik zu betreiben. Im Teil III „Der nationalstaatliche Aufbau der UdSSR“ , Kapitel 8 „Die UdSSR – ein Bundesstaat“ heißt es:

Art. 70 Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist ein einheitlicher multinationaler Bundesstaat, der auf der Grundlage des Prinzips des sozialistischen Föderalismus als Ergebnis der FREIEN SELBSTBESTIMMUNG der Nationen und der FREIWILLIGEN VEREINIGUNG gleichberechtigter sozialistischer Sowjetrepubliken gebildet wurde. Die UdSSR verkörpert die staatliche Einheit des Sowjetvolkes, sie schließt alle Nationen und Völkerschaften zum gemeinsamen Aufbau des Kommunismus zusammen.

In Art 71 werden alle Sowjetrepubliken aufgeführt, darunter auch die Ukraine. D.h., alle in der Verfassung der UdSSR gewährten Rechte wurden explicit auch der Ukraine zugesprochen.

Art. 72 Jeder Unionsrepublik bleibt das RECHT AUF FREIEN AUSTRITT aus der UdSSR gewahrt.

Artikel 80: Die Unionsrepublik hat das Recht, Beziehungen zu ausländischen Staaten aufzunehmen, mit ihnen Verträge abzuschließen und diplomatische sowie konsularische Vertreter auszutauschen und an der Tätigkeit internationaler Organisationen teilzunehmen.

Die Selbst-Auflösung der UdSSR war also kein Unglück, keine Katastrophe, sondern ein von der Verfassung in Artikel 72 gewährter möglicher Weg für jede einzelne Sowjetrepublik zur Erlangung voller nationaler Souveränität. Vergleichbar hierzu ist der Austritt Großbritanniens aus der EU. Dieser Austritt Großbritanniens ist kein Unglück, keine Katastrophe, sondern eine vertraglich zugesicherte Option zur Verwirklichung ungeminderter nationalstaatlicher Souveränität, sollte man sich durch das Regelwerk der EU zu sehr in seiner staatlichen Selbstbestimmung begrenzt fühlen. England muss nicht fürchten, dass die EU in wenigen Jahren aus Enttäuschung über den Austritt England überfallen wird. Putins Reaktion auf den Zerfall der UdSSR zeigt, dass in Putins Augen die von der Verfassung der UdSSR garantierten Optionen eines Austritts niemals ernst gemeint waren. Die heutige Souveränität der Ukraine, Georgiens, der Baltischen Staaten und anderer früherer Sowjetrepubliken ist eine Realisation der Freiheiten, welche die Verfassung der UdSSR gewährte.

 

Der Prozess der Selbstauflösung der UdSSR

Die Sinatra-Doktrin, Oktober 1989   

Die in der Verfassung als möglich gedachte Selbstauflösung der UdSSR bahnte sich seit 1989 schrittweise an. Der letzte Präsident der UdSSR Gorbatschow, der die UdSSR bewahren, aber reformieren und vom Filz der Korruption befreien wollte, ließ am 25.10.1989 vom sowjetischen Außenminister Schewardnadse in Helsinki die „Sinatra-Doktrin“ verlauten:

„Die Sowjetunion, eine eurasische Regierung im Kernwaffenbesitz, ein dauerhaftes Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und Mitglied der Warschauer Vertragsorganisation, und Finnland, ein neutraler nordeuropäischer nicht nuklearer Staat, […] erklärten ihre Entschlossenheit, die folgenden Prinzipien und Prioritäten in Europa […] umzusetzen. […] KEINE ANWENDUNG VON GEWALT KANN GERECHTFERTIGT WERDEN, WEDER DURCH EINE MILITÄRISCH-POLITISCHE ALLIANZ GEGEN EINEN ANDEREN, NOCH INNERHALB DIESER ALLIANZEN, NOCH GEGEN NEUTRALE LÄNDER JEDWEDER PARTEI.“

Diese Sinatra-Doktrin, benannt nach einem berühmten Lied von Frank Sinatra (Außenminister Schewardnadse lässt damals durch seinen Pressesprecher erklären: „You know the Frank Sinatra song I Did It My Way? Poland and Hungary are now doing it their way. I think the ‚Brezhnev Doctrine‘ is dead.“) löste die sogenannte Breschnew-Doktrin ab.

 

Die abgelöste Breschnew-Doktrin vom September 1968

Was aber war die Breschnew-Doktrin? Am 26. September 1968 erschien die Breschnew-Doktrin in der sowjetischen Tageszeitung Prawda in Gestalt eines Aufsatzes mit dem Titel: Souveränität und internationale Pflichten sozialistischer Länder, worin die Grenzen der Souveränität einzelner Staaten des kommunistischen Blocks aufgezeigt und das Interventionsrecht der „sozialistischen Bruderländer“ begründet wurden. Im Text heißt es:

„Die Völker der sozialistischen Länder, die kommunistischen Parteien, haben die uneingeschränkte Freiheit und sie müssen sie haben, die Entwicklungswege ihres Landes zu bestimmen. JEDOCH DARF KEINE ENTSCHEIDUNG VON IHRER SEITE ENTWEDER DEM SOZIALISMUS IN IHREM LAND ODER DEN GRUNDINTERESSEN DER ANDEREN SOZIALISTISCHEN LÄNDER […] SCHADEN ZUFÜGEN. Jeder Kommunistischen Partei steht es frei, die Prinzipien des Marxismus-Leninismus  und des Sozialismus in ihrem Land anzuwenden, SIE DARF JEDOCH NICHT VON DIESEN PRINZIPIEN ABWEICHEN (wenn sie eine Kommunistische Partei bleiben will). […] DIE SCHWÄCHUNG EINES GLIEDES DES WELTSYSTEMS DES SOZIALISMUS WIRKT SICH DIREKT AUF ALLE SOZIALISTISCHEN LÄNDER AUS, DIE SICH DEMGEGENÜBER NICHT GLEICHGÜLTIG VERHALTEN KÖNNEN.“

Der Artikel schließt mit einer ausdrücklichen Rechtfertigung der Invasion in die Tschechoslowakei:

„Die UdSSR und die anderen sozialistischen Staaten mussten ihre internationalistische Pflicht gegenüber dem Brudervolk der Tschechoslowakei erfüllen UND IHRE EIGENEN SOZIALISTISCHEN ERRUNGENSCHAFTEN VERTEIDIGEN. Sie mussten ENTSCHLOSSEN GEGEN DIE ANTISOZIALISTISCHEN KRÄFTE IN DER TSCHECHOSLOWAKEI HANDELN.“

Diese Breschnew-Doktrin sieht den militärischen Einfall in ein Land, welches sich aus dem Kommunismus lösen will, als Verteidigung eigener Errungenschaften oder als Verteidigung einer Ideologie: damals des Sozialismus, heute der Idee des Panslawismus bzw. der Idee der russischen Dominanz in Ost-Europa und in Eurasien.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist der Einfall Russlands in die Ukraine in den Augen Putins ein legitimes Verteidigen russischer Interessen. Die Frage nationalstaatlicher Souveränität und internationalen Völkerrechtes ist für das gegenwärtige Russland völlig irrelevant. Die Interessen Russlands sieht man in Russland als über jedem internationalen Völkerrecht stehend und den Bruch internationaler Verträge als  gerechtfertigt.

 

Die Schlüsseljahre 1990 und 1991

Paradoxerweise war es Russland selbst, welches am 12.06.1990 seine eigene Souveränität erklärte. Es war Russland selbst, welches der UdSSR den Todesstoß versetzte, weil man erkannte, dass die UdSSR der Souveränität Russlands im Wege stand.

Im August 1990 erklärten sich die baltischen Sowjetrepubliken in der sogenannten „SINGENDEN REVOLUTION“ zu selbständigen souveränen Staaten, ein Recht, welches ihnen die Verfassung der UdSSR ausdrücklich gewährte. Eine 600 km lange Kette von Menschen, die einander an der Hand hielten und sangen, erstreckte sich von Tallin über Riga bis nach Vilnius und verband so die Hauptstädte der baltischen Staaten miteinander in einer friedlichen Willensbekundung.

Am 08.12.1991 schließlich wird von Russland, Belarus und der Ukraine die UdSSR offiziell aufgelöst und die GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten) gegründet. Im BELOWESCHER ABKOMMEN beschließen die Präsidenten Russlands, Weißrusslands und der Ukraine, dass „die UdSSR als völkerrechtliches Subjekt sowie als geopolitische Realität … ihre Existenz beendet“. Am 12.12.1991 ratifiziert der Oberste Rat der RSFSR (Russische Sowjetrepublik) das Abkommen von Belowesch mit 188 Stimmen, bei nur sechs Gegenstimmen.  Somit ist die UdSSR aufgelöst und die GUS (Gemeinschaft UNABHÄNGIGER Staaten) gegründet. Dieses Abkommen wurde am 21.12.1991 in der Erklärung von Alma-Ata bestätigt durch Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Die „größte geopolitische Katastrophe“, nämlich die Auflösung der UdSSR, wurde also maßgeblich von Russland selbst unter Präsident Jelzin vorangetrieben und von allen Nachfolgestatten der früheren UdSSR bestätigt bzw. begrüßt.

Der Westen erkannte die nationale Unabhängigkeit der früheren Sowjetunion erst an, nachdem sie von Moskau anerkannt worden war.

Das Streben der Ukraine sowie aller anderer Staaten der früheren Sowjetunion nach nationaler Souveränität (und das beinhaltet den Beitritt zu anderen Staatenbünden wie die EU oder Verteidigungsbündnissen wie NATO) wurde von Russland selbst vorgelebt. Dieses für sich selbst in Anspruch genommene souveräne Recht will Russland seinen Nachbarländern jedoch vorenthalten.

 

Im UKRAINISCHEN REFERENDUM über die nationale Unabhängigkeit vom 01.12.1991 stimmten 90,3% der Ukrainer für die Unabhängigkeit. Besonders interessant sind hier die Zahlen in den 2014 von Russland überfallenen und bis 2022 annektierten ukrainischen Gebieten: auf der Krim stimmten 54,19%, im Bundesland Donetzk 83,9% und im Bundesland Luhansk 83,8% der Bevölkerung dafür, sich als Bestandteil einer souveränen Ukraine zu definieren.

 

Das Budapester Memorandum

Mit der Selbstauflösung der UdSSR tauchte eine wichtige Frage auf: Was geschieht mit den Atomwaffen der UdSSR, welche in der Ukraine, in Kasachstan und in Weißrussland stationiert waren, aber nur von Moskau aus gestartet werden konnten? Es bestand die Gefahr, dass aus diesen Beständen „schmutzige Bomben“ unkontrolliert veräußert werden würden. Deswegen einigte man sich, dass diese atomaren Waffenbestände an Russland gegeben würden. Weil Weißrussland, die Ukraine und Kasachstan damit verzichteten, Atommächte zu bleiben und damit eigene Sicherheiten  preisgaben, wurde ihnen Unversehrtheit ihrer nationalen Grenzen zugesichert. Die USA, Russland und Großbritannien – in geschwächter Form auch China und Frankreich als die 5 Atommächte – verpflichteten sich, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit sowie die existierenden Grenzen von Weißrussland, der Ukraine und Kasachstan zu respektieren. Artikel 2 des Memorandums enthält die Verpflichtung seitens der USA, Frankreich, Russland und Großbritannien auf Gewalt bzw. auf die Androhung von Gewalt zu verzichten. Keine Waffen dürfen jemals gegen die Unterzeichnerstaaten eingesetzt werden, außer zur Selbstverteidigung oder anderweitig in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen. Im Artikel 3 wurde auch auf jeglichem ökonomischen Zwang verzichtet.

Da dieses Memorandum eine Selbstverpflichtung ohne Sanktionsmechanismus bei Nichteinhaltung war, blieb es bei der Annexion der ukrainischen Krim durch Russland völlig wirkungslos. Nach einem rasch organisierten Referendum auf der besetzten Krim unter den Augen des bewaffneten russischen Okkupationsheers behauptete Russland, die Krim sei „freiwillig“ aus der Ukraine ausgetreten, damit bezögen sich die Verpflichtungen des Budapester Memorandums nicht auf die Annexion der Krim. Die USA wurden nicht aktiv, die Souveränität der Ukraine zu verteidigen, da es sich im Budapester Memorandum nur darum handle, Grenzen „zu respektieren“ und es keine Sicherheitsgarantien gebe, obwohl Artikel 4 eine Verpflichtung beinhaltet, „Hilfe zu leisten, falls die Ukraine Opfer eines Aggressionsaktes oder Angriffsdrohung wird, wo Atomwaffen verwendet werden“ Da Russland nur mit konventionellen Waffen und nicht mit Atomwaffen die Krim besetzt hatte, sahen sich die 4 übrigen Unterzeichnerstaaten China, Frankreich, Großbritannien und die USA nicht gehalten, ihre Zusagen einzuhalten.

 

Mit den Überfallskriegen von 2014 und 2022 bricht also Russland wichtige Verträge, ignoriert nationale Souveränitätsrechte seiner Nachbarn. Motor und Rechtfertigung der russischen Aggression ist  in den Augen Putins schlicht das Recht des Stärkeren. Russland ist größer und stärker als sämtliche Nachfolgestaaten der UdSSR, deswegen sieht Russland sich im Recht, neo-imperialistische Eigeninteressen rücksichtslos und mit Waffengewalt gegen alle internationalen Verträge und Rechte durchzusetzen.

Zankapfel war zu Beginn der Spannungen zwischen Russland und der Ukraine  die Halbinsel Krim, welche im Laufe der Geschichte von Taurern und Kimmerern bewohnt wurde, jahrhundertelang in der Antike eine griechische Kolonie war, unter römischer, gotischer, byzantinischer, venezianischer, genuesischer und schließlich osmanischer Herrschaft stand. Die im historischen Vergleich recht kurze russische Herrschaft über die Krim begann am 08.04.1783 und endete 1954 (Gesamtdauer 171 Jahre), als die Krim von der russischen Sowjetrepublik der ukrainischen Sowjetrepublik übertragen wurde. Als Ausgleich wurde Karelien (Grenzgebiet zu Finnland, früher Teil von Finnland) der russischen Sowjetrepublik zugeschlagen. Dieser Gebietsaustausch, von Chruschtschow initiiert, wurde von den höchsten Organen der UdSSR legitimiert bzw. legalisiert: Der Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR über die Übergabe des Krim-Gebiets aus dem Bestand der RSFSR (Russische Sowjetrepublik) an den der Ukrainischen SSR erging am 19. Februar 1954 und wurde am 26. April 1954 durch die Verabschiedung eines Verfassungsänderungsgesetzes vom Obersten Sowjet der Sowjetunion bestätigt. In der Folge wurde auch die Verfassung der RSFSR (Russische Sowjetrepublik) entsprechend geändert. Zum Ausgleich wurde 1956 die Karelo-Finnische Sozialistische Sowjetrepublik  in die Karelische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik umgewandelt und der RSFSR (Russische Sowjetrepublik) angegliedert.

 

Die russische Innenpolitik

Das gegenwärtige Russland beherrschende Regime unter Putin tut nicht nur seinen Nachbarn Unrecht, sondern auch seinem eigenen Volk.

Seit Jahren wird die Innenpolitik immer repressiver. Die Opposition wurde völlig ausgeschaltet. Internet und Presse werden stark zensiert, so dass es in Russland nicht mehr möglich ist, sich objektiv zu informieren.

Demonstrationen werden verboten und gewaltsam aufgelöst. Für die, welche die Möglichkeit haben, bleibt nur eine Abstimmung mit den Füßen übrig, nämlich die Emigration ins Ausland. Seit 2014 steigt die Emigration jährlich: 2014: 201.607 Emigranten; Januar bis Juni 2022: 419.000 Emigranten. Das ist eine Vervierfachung der jährlichen Emigration aus Russland innerhalb von 8 Jahren. Besonders seit der russischen Mobilisation nach der gescheiterten Einnahme der ukrainischen Hauptstadt schnellen die Zahlen derer, die Russland verlassen, in die Höhe. Was für all diese Menschen ein Verlust der Heimat, Verlust des Familien- und Freundeskreises bedeutet, nennt Putin „den natürlichen und notwendigen Prozess der Selbstreinigung der Gesellschaft“! Ob bewusst oder unbewusst: Hier wird eine faschistische bzw. nationalsozialistische Terminologie verwendet: Oppositionelle sind eine Verunreinigung des Volkes!

Ca. 50.000 verurteilte Kriminelle wurden amnestiert, wenn sie sich verpflichteten, innerhalb der Söldnergruppe Wagner an der Front zu kämpfen. Gleichzeitig wurden Zigtausende russische Männer mobilisiert und an die Front geworfen, schlecht oder gar nicht ausgebildet und schlecht oder gar nicht ausgerüstet. Diese Männer werden bei Angriffen stets vor den regulären Truppen vorhergeschickt und haben entsetzlich hohe Verluste. So sollen die gut ausgebildeten regulären Soldaten geschont und für weitere Kampfeinsätze erhalten bleiben.

Wer den Krieg verurteilt, wird verfolgt. Das führt zum Teil zu absurden Maßnahmen: Der Überfallskrieg darf offiziell nur „Militärische Sonderaktion“ genannt werden, nicht aber „Krieg“. Ein Russe, der auf dem Roten Platz das Buch von Lew Tolstoi „Krieg und Frieden“ bei sich trug und daraus still las, wurde verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt.

Junge Männer, die gegen die Mobilisation demonstrierten, wurden inhaftiert und von dort direkt in den Kampf an die Front geschickt. Das zynische Ziel ist ein doppeltes: Eliminierung Oppositioneller und Verstärkung der Fronttruppen.

Russland ist kein Rechtsstaat mehr. Die Korruption hat unvorstellbare Maße erreicht. Das einfache Volk wird genauso geknechtet, wie das unter den Zaren und unter dem Kommunismus bereits der Fall war. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Streiks und Demonstrationen wird nicht gewährt, auch wenn es in der Verfassung offiziell gewährt wird.

 

Das 20. Jahrhundert ist für die Ukraine eine furchtbar blutiges Jahrhundert gewesen: 1932/33 konfiszierte die Rote Armee sämtliche Lebensmittel und Ernteerträge der ukrainischen Landbevölkerung. Ziel dieser Aktion war die Ausrottung der Bauernschaft, welche an ihrem Grund und Boden hing und damit der sozialistischen Industriearbeiter-freundlichen Ideologie im Wege stand. Bei diesem Holodomor verhungerten nach vorsichtigen Schätzungen 3,5 bis 4,5 Millionen Ukrainer. Dieser rücksichtslose Vernichtungskampf wurde von Moskau initiiert, organisiert und legitimiert und war letztlich die menschenverachtende Umsetzung der ebenso menschenverachtenden Ideologie des Kommunismus. Lenin kündigte bereits auf dem X. Parteitag der Kommunistischen Partei in Russland 1921 mit einem unglaublichen Zynismus an: „Der Bauer muss ein wenig Hunger leiden, um dadurch die Fabriken und die Städte vor dem Verhungern zu bewahren. Im gesamtstaatlichen Maßstab ist das eine durchaus verständliche Sache; dass sie aber der zersplittert lebende verarmte Landwirt begreift – darauf rechnen wir nicht. Und wir wissen, dass man hier ohne Zwang nicht auskommen wird – ohne Zwang, auf den die verelendete Bauernschaft sehr heftig reagiert.“ Die damals requirierten Getreidevorräte der Ukraine wurden von Moskau gegen Devisen an Westeuropa verkauft. Es ist nachvollziehbar, dass der gegenwärtige Krieg mit dem Beschlagnahmen von ukrainischen Getreidereserven sowie von Anbauflächen furchtbare Erinnerungen und Befürchtungen in der Ukraine weckt. Über 7 Millionen Ukrainer haben gegenwärtig ihr Zuhause verloren und befinden sich als Flüchtlinge in der Westukraine oder in vielen anderen Ländern.

 

Aus einer biblischen Perspektive muss der russische Überfallkrieg gegen die Ukraine von 2014 und auch der 2022 begonnene und gegenwärtig unbarmherzig geführte zweite Überfallskrieg genauso verurteilt und als böse bezeichnet werden, wie das seinerseits Gott durch den Propheten Hesekiel im Bezug auf den vertragsbrüchigen König Zedekia tat.  Wir sahen, dass die oben angeführten Verträge, Zusagen und Verfassungsartikel letztlich alle gebrochen wurden; von Russland wurden alle Verträge gebrochen, von den 4 übrigen Atommächten die Zusagen des Budapester Memorandums. Aber auch der repressive Charakter der russischen Innenpolitik ist ein eklatanter Vertragsbruch: Weder die Verfassung noch geltendes Recht werden gegenüber der eigenen Bevölkerung gewahrt. Die Justiz ist nicht unabhängig, sondern von oben gelenkt und Vorgaben von oben ausführend. Der Bibel ist es im AT sowie im NT ganz wichtig, dass Recht nicht gebeugt wird; dass gerechte Urteile gesprochen werden; dass Richter unvoreingenommen richten. Diese biblischen Errungenschaften, die das Fundament demokratischer Gesellschaften sind –wenn auch selten nur völlig verwirklicht!- , werden in Diktaturen völlig ignoriert. Es entspricht dem Geist des Evangeliums, dass Menschen nicht wegen ihrer Meinung verfolgt werden. Aber diese Toleranz gegenüber Andersdenkenden können sich totalitäre Staaten, zu denen auch Russland gehört, nicht leisten.

 

 

Der russische Krieg gegen die Ukraine:
Geistliche Dimensionen eines brutalen Krieges!

(Teil 2)


Andreas Reh

Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geht es nicht nur um Territorien, Neoimperialismus, Vertragsbrüche etc. Es kommen noch andere, vielleicht unerwartete Aspekte ins Spiel, welche für eine christliche Bewertung sehr wesentlich sind:

 

2 Jahrzehnte des Säens

Direkt nach der Selbstauflösung der UdSSR befanden sich die Menschen in den Nachfolgestaaten in einem ideologischen Vakuum. Nach 70jähriger kommunistischer Propaganda, welche immense Opfer von der Bevölkerung forderte, um den vermeintlich selbstlosen sozialistischen Menschen zu schaffen, wurde ihnen nun klar, dass sie 70 Jahre lang betrogen worden waren. Ich erinnere mich an unsere erste Reise in den Osten nach Suchumi, damals noch Georgien, bevor es von Russland okkupiert wurde. Als wir im Spätsommer 1992 dort evangelistische Straßenversammlungen abhielten und dabei Traktate verteilten, die uns förmlich aus den Händen gerissen wurden, blieb ein älterer Mann auf der gegenüberliegenden Seite stehen und schaute nachdenklich zu uns. Wir gingen zu ihm und er sagte uns: Wenn das alles stimmt, was ihr sagt, dann habe ich all mein Leben umsonst gelebt. So ging es vielen Menschen, die an den Kommunismus geglaubt hatten, jahrzehntelang viel ärmlicher gelebt hatten als ihre Zeitgenossen in der westlichen Welt und nun erkannten, dass sie Opfer einer gottlosen Ideologie geworden waren. Dieses ideologische Vakuum war ein fruchtbarer Boden für das Evangelium. Die Länder der früheren Sowjetunion wurden in den 90er Jahren vom Evangelium überrollt. Fernsehstationen sandten christliche Predigten und Filme, ebenso Radiostationen. Ich erinnere mich, dass in den 90er Jahren in Tadschikistan, einem muslimischen Land, im Staatsfernsehen der Jesusfilm nach dem Lukasevangelium gezeigt wurde. In Russland sowie in allen anderen früheren Sowjetrepubliken konnte man ungehindert das Evangelium verkünden. Kulturhäuser, Kinosäle etc. öffneten sich für öffentliche Evangelisationen. Innerhalb kürzester Zeit entstanden Hunderte christlicher Gemeinden. Die christliche Anzeigenmission kaufte in großen russischen Zeitungen ganze Seiten, um dort Artikel von David Gooding und  John Lennox über das Evangelium zu drucken. Dabei handelt es sich um die Zeitungen „Suche“ (Poisk), „Literaturzeitung“ (Literaturnaja Gazeta)“, „Zeitung für Lehrer“ (Utschitelskaja Gazeta) und „Mitteilungen“ (Izvestija). Da viele Zeitungen von bis zu 4 Mitgliedern eines Haushaltes täglich gelesen wurden, wurden mit diesen Artikeln regelmäßig Abermillionen Menschen mit dem Evangelium konfrontiert. Es war relativ einfach, als Missionar russische, ukrainische, weißrussische, tadschikische Visa zu bekommen. Oft musste man mit einer einheimischen Organisation kooperieren, um von ihr eingeladen zu werden und damit ein Visum zu erhalten. Aber es gab viele Organisationen, die rasch gegründet wurden, das Evangelium ins Land bringen wollten und eine breite Basis zur Zusammenarbeit mit Missionaren boten.

 

Keine gesamtgesellschaftliche moralische Umkehr in Russland

Die Öffentlichkeit durfte in vielen Aktionen, auf staatlichen Kanälen etc. das Evangelium hören. Aber eines blieb in Russland aus:   eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen kommunistischen Vergangenheit. Es gab Versuche, das Unrecht des Kommunismus und der Sowjetunion aufzuarbeiten und publik zu machen, besonders durch die engagierten Wissenschaftler, Forscher und Mitarbeiter der Organisation „Memorial“.  Aber insgesamt zog man es vor, dem Unrecht im eigenen Land nicht ins Auge sehen zu wollen. Da man die UdSSR und die Rote Armee als Sieger über den Faschismus sah, wurde mit diesem moralischen Etikett „Sieger über den Faschismus“ alles Unrecht der UdSSR, das millionenfache Morden im Gulag als unschöne, aber notwendige Begleiterscheinung gesehen, nicht aber als moralische Schuld. Memorial wurde inzwischen verboten, leitende Mitarbeiter sitzen im Gefängnis oder konnten ins Ausland fliehen. Denkmäler, die an das Leiden im Gulag erinnern sollen und in den 1990er Jahren sowie den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts aufgestellt wurden, werden nun demontiert.

Gott sei Dank hat Deutschland den 2. Weltkrieg verloren und musste sich seiner entsetzlichen Schuld stellen. Das führte zu einer Erweckungsbewegung, die ab 1945 bis in die frühen 70er Jahre den deutschsprachigen Raum durchzog. Die Bevölkerung Russlands hat –im Ganzen gesehen, wenn man von einer Minderheit absieht- sich nie dem eigenen Unrecht gestellt und nie Buße darüber getan. Deswegen sehe ich die jetzige Wiederholung der Geschichte, die repressive Entmündigung und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung sowie den faschistischen Angriff auf die Ukraine, nicht nur als logische Folge mangelnder Aufarbeitung der eigenen Geschichte, sondern auch als Gericht Gottes über das russische Volk, das sich immer stärker als orthodox, als alleiniger Wahrer echten Christentums, versteht. Das Wort Faschismus leitet sich vom lateinischen Wort „Rutenbündel“ ab, also einem Schlag- und Unterdrückungsinstrument.  Kennzeichnend für den Faschismus ist das (gewaltsame) Ausschalten jeglicher politischer Opposition, die Bündelung der Machtfülle in einer herrschenden Partei, das Fehlen der Meinungsfreiheit und ein starker Personenkult. All diese Merkmale kennzeichnen das gegenwärtige Russland. Das ist kein Zufall, sondern die Konsequenz davon, dass bis heute Stalin als großer Herrscher gepriesen wird, die millionenfachen Opfer der Zivilbevölkerung im Gulag nie beweint, sondern als notwendige Begleiterscheinung der wachsenden weltpolitischen Größe der UdSSR gesehen wurde.

Wladimir Putin erlebte seine Sozialisation zu einer Zeit, als die UdSSR zu ungeahnter Größe wuchs, die sich darin ausdrückte, dass die UdSSR von „westlichen Feinden“ wie von den „Verbündeten“ im Warschauer Pakt gleichermaßen gefürchtet wurde. Putin als Mitarbeiter des vor allem die eigene Bevölkerung unterdrückenden KGB strebt eine Renaissance dieser „großen“ Vergangenheit der UdSSR an, nun aber als neoimperialistisches Russland. Bekämpfte die UdSSR das Christentum (allerdings nicht während des 2. Weltkrieges, als jeder gebraucht wurde), so verwendet Putin heute eine andere Methode: er schloss einen engen Schulterschluss mit der orthodoxen Kirche, ähnlich, wie das zu Zeiten des Zarenreichs bis 1917 der Fall war. Orthodoxie wird immer mehr zu einer Staatsreligion, und die orthodoxe Kirche wird immer stärker zu einem politischen Machtfaktor zugunsten des derzeitigen Regimes.

Europa erlebte lange genug Zeiten, in denen im Absolutismus Staat und Religion zu einer Einheit verschmolzen waren. Die Vertreibung der Salzburger Emigranten, der Albigenserkreuzzug gegen die Katharer (1209-1229) unter Papst Innozenz III, die Gegenreformation, die mitunter gewaltsame oder gewaltfördernde Ablehnung der Täuferbewegung durch die Protestantischen Landeskirchen, Folterung und Hinrichtung angeblicher „Pestverbreiter“ in Genf unter dem Einfluss Calvins 1545 – die Liste politischer Willkür durch eine staatlich geförderte, gesellschaftspolitische Macht ausübende Kirche prägte Europa. Russland nähert sich diesen schrecklichen Zeiten heute. Die orthodoxe Kirche Russlands ist heute stärker und politisch einflussreicher als jemals im ausgehenden 19. und im ganzen 20. Jahrhundert

 

Repressionen gegen nicht-orthodoxe Gemeinschaften in Russland

Für nicht-orthodoxe, besonders für evangelisch-freikirchliche Christen sowie für Zeugen Jehovas hat das gravierende Folgen. Die Rechte evangelikaler Christen in Russland werden seit dem Amtsantritt Putins zunehmend beschränkt.

Die Heilsarmee wurde bereits vor vielen Jahren als „militaristische“ Organisation verboten. Es darf öffentlich nicht mehr geworben werden für evangelikale Überzeugungen; evangelistische Bemühungen sind nur noch in kirchlichen Räumen, nicht aber in der Öffentlichkeit erlaubt. Verstöße werden streng geahndet. Damit unterscheidet sich die rechtliche Lage evangelischer Christen im heutigen Russland Putinscher Prägung nicht mehr von ihrer rechtlichen Lage zu Zeiten der UdSSR.  Die orthodoxe Kirche ist de facto eine  Staatskirche und Instrument der russischen Innen- und Außenpolitik.  In dem gegenwärtigen blutigen Krieg auf ukrainischem Boden verspricht die orthodoxe Kirche russischen Soldaten völlige Absolution und Eingang ins Himmelreich, sollten sie im Krieg ihr Leben verlieren.

 

Ungewöhnliche Freiheiten für Christen und Juden in der Ukraine

Die Situation in der Ukraine ist völlig entgegengesetzt: Die evangelikalen Gemeinden sowie das Verkündigen des Evangeliums genießen völlige Freiheit, die zum Teil die großen Freiheit, die wir als Christen im Westen genießen, sogar übertreffen. Die Regierung greift nur minimal in das religiöse Leben ein, das religiöse Milieu in der Ukraine ist pluralistisch: Laut offiziellen Statistiken gab es Anfang 2017 mehr als 100 Denominationen mit 34 385 lokalen Gemeinschaften und Gemeinden. Zu den evangelischen Denominationen zählen die Evangeliumschristen-Baptisten (2803 Gemeinden), freie evangelische Gemeinden (350), Pfingstgemeinden (2599), charismatische Gemeinschaften, die auch als „Full Gospel Churches“ bekannt sind (1367), andere protestantische Gruppen einschließlich der Siebenten-Tages-Adventisten. Inzwischen ist die evangelisch-freikirchliche Bewegung ein anerkannter und meist begrüßter Teil des öffentlichen Lebens.

Die ukrainische orthodoxe Kirche ist eine große unter vielen anderen Religionsgemeinschaften.

Seitdem im Jahr 2014 die Krim und die Bundesländer Donetzk und Luhansk unter die direkte Macht Russlands kamen, werden dort evangelikale Gemeindehäuser, Seminare, Bibelschulen von den russischen Behörden bzw. den von ihnen installierten Donetzker und Luhansker Behörden geschlossen und die Gläubigen immer repressiver behandelt.

Die Ukraine beherbergte die größte jüdisch-orthodoxe Präsenz in ganz Europa. Als die Ukraine 1991 unabhängig wurde, konnte das jüdische Leben sich wieder frei entfalten. Die Menschen besannen sich ihrer Wurzeln, Synagogen wurden eröffnet, es entstanden jüdische Bildungsorganisationen. “Man war absolut stolz, Jude zu sein”, erinnert sich Yevhen Kotliar aus Charkiw, ein Professor an der dortigen Akademie für Kunst und Design. Somit ist der gegenwärtige Krieg auch eine direkte Bedrohung für die christliche und für die jüdische Präsenz in der Ukraine. Juden in der Ukraine und in Russland fühlen sich vom gegenwärtigen Russland bedroht und verlassen ihre Heimat. Russland überlegte 2022, die Büros der Jewish Agency in Russland nach 30jähriger Arbeit zu schließen, weil sie damit den Juden den Auszug aus Russland schwerer machen wollen, denn seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine nimmt die Abwanderung von Juden aus Russland stark zu.

 

Ein Krieg, der auch über die Freiheit des Evangeliums im öffentlichen Raum entscheidet

Der Ausgang des blutigen Überfalls auf die Ukraine wird darüber entscheiden, ob evangelisches und jüdisches geistliches Leben sich weiter öffentlich entfalten darf oder von russischen Besatzern sukzessive ausgelöscht wird. Erst nach dem Zerfall der UdSSR durften evangelische Christen zum ersten Mal seit ihrem Bestehen im Osten sich frei entfalten und ungehindert missionieren. In Russland ist das bereits nicht mehr möglich. In der Ukraine besteht dieselbe Gefahr, sollte Russland seine Willkür immer weiter auf ukrainisches Gebiet ausdehnen können.

 

Kriterien für eine geistliche Beurteilung

Es geht für uns als Christen nicht darum, politische Diskussionen führen zu wollen. Angesichts der großen menschlichen Nöte wäre das unpassend. Es geht vielmehr darum, die Geschehnisse mit den Augen der Bibel zu betrachten: Wird der Schwache geschützt? Bekommt der Schwache Recht? Darf jeder seinem Gewissen folgen, solange er anderen damit nicht schadet? Darf man eine freie Meinung besitzen und öffentlich formulieren? Werden religiöse Minderheiten geschützt? Darf das Evangelium ungehindert verbreitet werden? Dürfen Christen sich ungehindert versammeln? Ist das Volk der Juden geschützt? Dürfen Juden nach Israel zurückkehren?

Dass unsere westliche libertäre Demokratie kein geistliches Instrument ist, dürfte allen klar sein. Aber nach wie vor bietet eine funktionierende Demokratie Freiheiten für das Volk Gottes, welche von totalitären Staaten nie gewährt werden:

 

Als Christen dürfen wir darum beten,

  • dass Gott Gerechtigkeit schaffen möge;
  • dass die Freiheit für das Evangelium in der Ukraine gewahrt bleiben möge;
  • dass den Repressionen gegen die Evangeliumsverkündigung in Russland ein Ende gesetzt werden möge;
  • dass nicht noch mehr russische und ukrainische Soldaten bzw. ukrainische Zivilisten sterben müssen;
  • dass die ukrainische Zivilbevölkerung und Infrastruktur nicht mehr Ziel russischer Bomben sein mögen;
  • dass der Herr Seine Kinder vor nationalem Fanatismus und auch vor Bitterkeit und Hass bewahren möge.

 

Wie dunkel die Wolken auch sein mögen, so verheißt die Bibel unseren Geschwistern im Osten genauso wie uns:

 

Wir wissen aber, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten mitwirken lässt. Das sind ja die Menschen, die er nach seinem freien Entschluss berufen hat.

(Röm 8:28)