religionvon Katharina Wallhäußer, 4. November 2016

Wie in angekündigt, wollen wir mit der Ausstellung Weltreligionen in Unterschleißheim zu einem toleranteren Umgang der Menschen verschiedener Religionen in unserem Umfeld beitragen. In diesem Rahmen wollen wir auch unseren Glauben an Jesus Christus begründen.

In meinem Umfeld kenne ich Personen, denen sich die Nackenhaare aufstellen, wenn sie lesen, dass hier eine „religiöse Sondergruppe“ Toleranz in einem Zug mit Religion und dem Glauben an Jesus Christus nennt. Diese Christen, die sich hier so tolerant geben, können eigentlich nichts anderes wollen, als auf listige Weise, quasi durch die Hintertür, ihre angebliche Frohbotschaft einführen und ihren Absolutheitsanspruch durchsetzen. Mir fiel der Titel eines Buchs ein, das ich vor langer Zeit las: Toleranz und Wahrheit – wie Hund und Katze? Ich höre es schon fauchen und bellen.

Wahrheit und Toleranz. Haben wir eine Vorstellung, was diese Begriffe bedeuten? Wenn ich mir vergegenwärtige wie in den heutigen Medien damit umgegangen wird, traue ich mich fast gar nicht, diese großen Worte in den Mund zu nehmen. Bevor wir zu der Gretchenfrage kommen, stellen wir doch zuerst die Pilatusfrage: Was ist Wahrheit? Und was meinen wir überhaupt, wenn wir von Toleranz reden?

Stellen Sie sich folgende Situation vor:
Das Ergebnis des Schülers in der Mathematikaufgabe 2+2=5 bewertet der Lehrer als falsch und korrigiert es zu 4. Daraufhin urteilt der Schüler: Dieser Lehrer ist doch intolerant! 4 oder 5, was spielt das für eine Rolle? Die Differenz ist so klein! Es kann doch nicht auf diese einzelne Eins ankommen. Hauptsache ich habe das Plus richtig angewendet. Plus sagt doch, dass unter dem Strich mehr rauskommen muss, als oben drüber reingekommen ist. Und darauf kommt es doch an!

Man kann den Begriff Toleranz überstrapazieren. Das habe ich hier getan. Im Grunde ist es ein triviales Beispiel und hat mit Toleranz nichts zu tun. Für viele andere Fragen und Probleme, mit denen der Mensch konfrontiert ist, sehen die Lösungswege und die Beweise ganz anders aus. Dazu zählen beispielsweise auch naturwissenschaftliche und geschichtswissenschaftliche Fragestellungen: Wann hat Alexander der Große gelebt? Wie kam es zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges? Wie entstand das Universum? Gibt es Leben auf anderen Planeten?
Dasselbe gilt für ethische oder moralische Fragen. Soll ich meine Eltern belügen? Soll ich am Bau der Atombombe mitarbeiten? Ist Gewalt in der Ehe zulässig? Soll die Sklaverei abgeschafft werden? Darf ein Staat Folter anwenden?
Und für religiöse Fragen. Gibt es einen Gott? Was geschieht nach dem Tod? Ist Jesus Christus Gott oder war er nur ein Mensch?

Nun spricht man von Erkenntnissen, die in den Bereich der Wissenschaften fallen, manchmal von vorläufigen Ergebnissen, derzeitigem Stand der Forschung oder aktuellen Lehrmeinungen. In manchen wissenschaftlichen Fragen ist man an prinzipielle Grenzen des Menschlich-Erforschbaren gestoßen; für manche Ereignisse wird man keine Ursache angeben können. Es ist daher berechtigt zu fragen: Kann man überhaupt Fragen beantworten, die ein Jenseits betreffen oder über die Grenzen von Geburt und Tod hinaus reichen? Ist das nicht alles reine Spekulation?

Wir stellen fest, es gibt eine Abgrenzung von Wissensfragen zu Glaubensfragen. Es klingt altklug, wenn ich sage, dass ein kritischer Geist auf beiden Seiten der Grenzlinie gefordert ist, wo auch immer sie zu ziehen ist. An dieser Stelle kam mir in Erinnerung, dass es in der Sowjetunion, wo ich aufgewachsen bin, eine Zeit gab, wo Lehrbücher an die Staatsdoktrin angepasst wurden. Die Geschichte wurde in gewisser Weise neu erfunden und neu geschrieben. Fotografien wurden nachträglich bearbeitet, um bestimmte Personen daraus zu tilgen. Nicht jedes Foto bildet die Realität ab. Nicht jedem Lehrbuch kann man in jeder Aussage Glauben schenken. Im Dritten Reich gab es eine Deutsche Physik. Jüdische Wissenschaftler waren nicht mehr geduldet. In der Sowjetunion hatte man sich kreative Wege einfallen lassen, um die Zahl jüdischer Studenten an Universitäten sehr gering zu halten. Solcherlei Beispiele gibt es viele. Jahrhundertelang hielt man am geozentrischen Weltbild fest, weil es mit der vorherrschenden religiösen Lehre verwoben war. Man findet beides in der Menschheitsgeschichte: Den Versuch, Wahrheit mit Gewalt zu verbreiten und den Versuch, sie gewaltsam zu unterdrücken. Auch Wissenschaftler, nicht nur Politiker oder Kleriker, können sich irren und sind manipulierbar und korrumpierbar. Und es gibt Wahrheiten, die mit wissenschaftlichen Methoden nicht erfasst werden können. Ich würde von keinem Physiker erwarten, dass er mit Hilfe seiner Disziplin eine wissenschaftliche Erklärung dafür liefern kann, wie es möglich war, dass Petrus auf dem Wasser gehen konnte, oder von einem Mediziner eine wissenschaftliche Erklärung für die Jungfrauengeburt, oder von einem Chemiker, wie Jesus Wasser zu Wein machen konnte. (Früher hatte man wohl versucht aus Dreck Gold zu machen. Heute nennt man das Alchemie und es hat wenig mit der Wissenschaft Chemie wie sie heute verstanden und ausgeübt wird zu tun.)

Bei manchen Fragen bemühe man nicht die Toleranz und bei anderen bemühe man nicht die Naturwissenschaften. Der Schluss von naturwissenschaftlich fassbaren Prozessen auf die Nicht-Existenz Gottes, des Übernatürlichen, einer höheren Wirklichkeit ist keinesfalls logisch oder gar zwingend. Wissenschaftliche Methoden sind ein Weg, die Wahrheit in bestimmten Fragen heraus zu finden. Wir wollen aber auch in anderen Bereichen die Wahrheit herausfinden. Genau genommen wollen wir mehr als das. Ludwig Wittgenstein rührte an einen anderen Aspekt des menschlichen Strebens, der über eine rein philosophische oder akademische Disziplin hinaus geht: Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.

Wenden wir uns der religiösen Frage zu, stehen wir vor der Annahme (oder vielleicht ist es eine Unterstellung? und manchmal ist es ein Vorwurf), dass die drei großen monotheistischen Religionen einen absoluten Wahrheitsanspruch haben. Auch viele Atheisten, atheistische Gruppierungen und Vereinigungen haben ihn. Sie alle beanspruchen für sich, wahre Überzeugungen zu vertreten. Die einen werfen „es gibt einen Gott“ in die Waagschale, die anderen „es gibt keinen Gott“. Die Waage scheint ausgeglichen, das Spiel ist unentschieden, belassen wir es doch dabei. Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir! Was soll das ganze Theater? Ist das überhaupt eine wichtige Frage? Darum soll es hier gehen.

Wie ich andeutete, war es vielleicht schon falsch, überhaupt von einem „Anspruch“ zu reden. Ich bin Christ und erhebe keinen Anspruch irgendeine Wahrheit in der Hand zu halten, zu besitzen, für mich gepachtet zu haben, oder dergleichen. Ich glaube dennoch, dass ich in der Frage nach Gott zu wahren Überzeugungen gelangt bin. Ich glaube, Jesus Christus ist Gott. Ich glaube nicht nur, dass das ein sinnvoller Satz ist, sondern, dass er wahr ist. Was hat das mit Wahrheit zu tun, wenn man es nicht ausdrücken kann, ohne das Wort „glauben“ zu verwenden? Vielleicht haben auch Sie als Kind in der Schule immer gehört, glauben heißt nichts wissen, und nicht wissen heißt ein Esel sein. Ich habe soeben aus einem Dialog unter Wissenschaftlern zitiert, die dieser Frage auf den Grund gegangen sind. Pinchas Lapide sagt: Das Verhängnis ist, dass im Deutschen dem Wort „Glauben“ der schlechte Beigeschmack von Nicht-Wissen anhaftet. Wenn ich sage, ich glaube, dass Gott ist, so schwingt da immer mit: Ich weiß es aber nicht.
Darauf antwortet Viktor Frankl:
Glaube wurde als eine Minus-Variante von einem geistigen Akt hingestellt. Ich glaube, gerade das Gegenteil ist richtig. Ich glaube nicht, dass der Glaube ein Denken vermindert um die Realität des Gedachten ist, sondern im Gegenteil, Glaube ist ein Denken vermehrt um die Existenzialität des Denkenden. Das bedeutet in Wirklichkeit, dass der Akt des Glaubens auf einem existenziellen Akt beruht.
In meinen eigenen Worten ausgedrückt, zu sagen, ich glaube an etwas heißt, ich denke an etwas, dem in der Realität nichts entspricht – das ist falsch. Glaube an Gott hat mit einer existentiellen Wahrheit zu tun, die sich in meinem Leben verwirklicht. Jesus Christus sagt, ich
bin die Wahrheit, er sagt nicht, ich sage die Wahrheit. Wahrheit und Person sind nicht voneinander zu trennen. Jesus Christus ist die existenzielle Wahrheit, in die mein ganzes Sein mit hinein gezogen wird. Wir haben das Gefühl dafür, was eine existenzielle Frage ist, verloren. Es geht nicht darum, wie ich meinen Sonntagvormittag gestalte oder ob ich bei meiner Steuererklärung schummeln soll. Mit meiner Behauptung Jesus ist Herr, werfe ich meine ganze Existenz, mein Leben, in die Waagschale und lasse mein Dasein sprechen. Jesus Christus sagt in einem Atemzug, ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er ist mein Weg zu Gott. Er ist mein Leben. Das ist mein Glaube und nicht bloß ein Für-Wahr-Halten irgendwelcher Aussagen oder das Befolgen irgendwelcher Lehren.
Um dem Einwand zu begegnen, das sei eine seltsame Vorstellung von Wahrheit und ich würde die Begriffe verbiegen bis sie in meine Weltsicht passen, nach dem Motto
Ich mach’ mir die Welt / Widdewidde wie sie mir gefällt. Nein. Die Aussage, dass Jesus Christus Gott ist, ist für mich genauso schlicht wahr und gewiss wie die Aussagen, dass Napoleon tatsächlich gelebt hat, die Erde um die eigene Achse rotiert, oder dass 2+2=4 ist. Ein Atheist beispielsweise, oder ein Moslem, würde mir im ersten Punkt widersprechen – hier gibt es was zu tolerieren. Aber es ist unsinnig von Toleranz gegenüber irgendwelchen anderen Meinungen in den beiden anderen Punkten zu sprechen.
Wenn ich hier „mein“ sage, relativiere ich nichts oder gebe Raum für ein alternatives ebenso wahres „dein“, etwa:
mein Weg ist Jesus und dein Weg ist der edle achtfache Pfad, oder meine Mama ist für mich die beste Mama auf der Welt und deine Mama ist für dich die beste Mama auf der Welt. Die Betonung liegt nicht auf meinem individuellen „mein“, sondern auf dem göttlichen universellen „Ich bin“. Wir reden nicht über Geschmacksfragen oder persönliche Empfindungen, sondern Fragen von existenzieller Bedeutung und Antworten, die einander ausschließen. Hier gibt es keine Neutralität, es wird je behauptet, eine allgemein-gültige Weltsicht zu vertreten. In dieser ungeheuerlichen Anmaßung liegt ja gerade der Stein des Anstoßes und man kann fragen, wo hier Toleranz ihren Raum hat.

Bei uns Deutschen hat die Toleranz schon eine sehr lange Tradition. Hier sind wir zwar in Bayern, erlauben Sie mir dennoch einen preußischen König als Vorbild zu zitieren, der seiner Toleranz wegen gerühmt wird. Von Friedrich dem Großen ist der Ausspruch bekannt:
Katholiken, Lutheraner, Reformierte, Juden und zahlreiche andere Sekten wohnen in Preußen und leben friedlich beieinander!

(Man beachte: Alle sind Sekten.)
Das ist ja hocherfreulich, dass man sich auf deinem Territorium nicht die Köpfe einschlägt. Worauf führst du das denn zurück? Dazu erklärt Friedrich der Große in seinem politischen Testament:
Geht man allen Religionen auf den Grund, so beruhen sie auf einem mehr oder minder widersinnigen System von Fabeln. Ein Mensch von gesundem Verstand, der diese Dinge kritisch untersucht, muß unfehlbar ihre Verkehrtheit erkennen. Allein diese Vorurteile, Irrtümer und Wundergeschichten sind für die Menschen gemacht, und man muß auf die große Masse soweit Rücksicht nehmen, daß man ihre religiösen Gefühle nicht verletzt, einerlei, welchem Glauben sie angehören.

Friedrichs Haltung drückt ziemlich gut aus, wie viele Menschen in unserer Gesellschaft über Religion denken. Die Religiösen (manchmal auch religiösen Fanatiker oder Fundamentalisten genannt) sind nur eine große einfältige Masse, im Grunde nichts als Narren. Und was muss man Narren gewähren? Narrenfreiheit natürlich!
Genau diese Gesinnung steht hinter Friedrichs berühmtem Satz:
Hier muss ein jeder nach seiner Fasson selig werden.
Wobei er der Meinung ist, dass jede „Fasson“ nur eine Variante von Dummheit ist. Da steht also der Große Friedrich von Sanssouci und schaut leicht amüsiert und leicht angewidert von oben herab auf die große Masse mit ihren seltsamen religiösen Vorstellungen und sagt: Lassen wir sie! Narren sind sie allesamt!
Genau diese Haltung ist nicht, was
wir unter Toleranz verstehen. Friedrich der Große bringt den Gläubigen aller Religionen Verachtung entgegen. Das ist etwas anderes als Toleranz.

Vielleicht kommen wir der Sache mit dem Zitat eines anderen näher, dessen Name und Gedächtnis der deutschen Nation auf dem ganzen Erdkreis Ruhm und Schmuck verleiht. Bezeichnenderweise wird folgende Notiz aus Maximen und Reflexionen von Goethe manchmal heran gezogen, um Toleranz zu begründen, und manchmal Intoleranz: Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein; sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.

Die einen setzen Toleranz mit Anerkennung gleich, die anderen mit Dulden und jeder sieht sich selbst bestätigt. Ich halte Goethes oft zitierten Satz für falsch, will aber mit den Worten, die er gewählt hat sagen, was ich unter Toleranz verstehe: Anerkennung kann es in Fragen, in denen man gegensätzlicher Meinung ist, nur gegenüber der Person geben. Ich anerkenne, dass mein Gegenüber eine andere Meinung vertritt. Ich bejahe und respektiere den anderen als Person mit einem Recht auf eigene Meinung – ich lehne seine Meinung in der Sache aber ab. Das ist ein Dulden ohne zu beleidigen, das ist Toleranz der ursprünglichen Wortbedeutung nach als tragen oder ertragen. Ein Anerkennen und Ernst-Nehmen der Person, ohne die Wahrheit in der Sache über Bord zu werfen. Ein Aushalten der offensichtlichen Differenzen und der Andersartigkeit der konkurrierenden Glaubensbekenntnisse, ohne die eigene Identität zu verwischen. Das Gegenteil wäre weder authentisch noch höflich, noch politisch korrekt oder intellektuell redlich. Und schließlich heißt Toleranz nicht: „Du hast recht, ich habe recht, wir alle haben recht”, oder “es bestätigt, was wir schon immer gewusst haben: Alles viel zu schwierig. Man kann die Wahrheit überhaupt nicht erkennen!“

In der Begegnung mit Gläubigen anderer Religionen oder mit Menschen anderer Weltanschauung ist genau das dornige Feld der Toleranz abgesteckt, auf den wir uns mit dieser Ausstellung begeben wollen. Wenn wir als Christen andere Religionen vorstellen, versuchen wir das fair und sachlich zu tun, ohne die Gläubigen anderer Religionen zu beleidigen, ihre Religion schlecht darzustellen oder anzugreifen. Wir laden Sie auf diese Reise mit uns zusammen ein. Lernen Sie verschiedene Religionen kennen und gehen Sie den „letzten Fragen“ auf den Grund.

Quellenangaben:
Siegried Kettling, Toleranz und Wahrheit, wie Hund und Katze? (Der Vergleich Friedrich der Große, Der Verächter ist nicht tolerant, stammt aus diesem wunderbaren Buch.)
Viktor E. Frankl und Pinchas Lapide, Gottessuche und Sinnfrage
Friedrich II. von Preußen, Schriften über Religion