Änderung: 18./20.11.2020
Wir haben auf diesem Blog regelmäßig betont, wie wichtig es ist, dass Christen sich auf Ihre Berufung konzentrieren und sich wegen Corona nicht in eine politische Diskussion verzetteln, die nur Streit hervorbringen kann:
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- gegen den Aufruf zu zivilem Ungehorsam: http://www.brink4u.com/2020/07/29/apg-529/
- 10 Gründe wieder in den Gottesdienst zurückkommen: http://www.brink4u.com/2020/06/13/10-gruende-in-den-gottesdienst-zurueckzukommen/
- Luthers Ausgewogenheit zw. Hygienevorschriften und Glaubensmut: http://www.brink4u.com/2020/11/10/von-luther-ausgewogenheit-lernen/
- sowie zuletzt “Die Hauptsache …”: http://www.brink4u.com/2020/11/09/die-hauptsache-muss-hauptsache-bleiben/
Erfreulicher Weise muss von diesen Artikeln kein Wort zurückgenommen werden.
Und es bleibt dabei, dass die Kirche im Wesentlichen einen geistlichen und keinen politischen Auftrag hat (abgesehen davon, wenn wirklich die Situation von Apg 5,29 angesprochen ist). Aber wir als einzelne Christen sind auch Bürger dieser Demokratie und haben das Recht und die Pflicht zur Meinungsbildung beizutragen, ja stellen sogar nach unserer Verfassung einen Teil des ‘Souveräns’ da … – und auf dieser Ebene gehört es zur Ausgewogenheit, dass man sich in einer gesellschaftspolitischer Diskussion seriös und fair beteiligt:
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- etwa in der Frage, ob die aktuelle Corona-Situation tatsächlich eine “epidemische Lage von nationaler Tragweite” darstellt, die “zum Schutz der Bevölkerung” und
- in Abwägung als zumutbar und angemessen (!) erscheinen lässt, wesentliche Grundrechte des GG einzuschränken?
A. Der Gesetzesentwurf
Der Entwurf der Regierungskoaltion vom 03.11.2020 wurde nicht zuletzt durch die Gegenentwürfe der Opposition und durch die Anhörung der Experten seitens der überarbeitet.
Die vom Bundestag eingeladene Juristin Dr. A. Kießling hat als geladene Einzelsachverständige für die öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages zu der ursprünglichen Fassung eine Stellungnahme veröffentlicht, worin die handwerklichen Mängel des von der Regierungsfraktion eingebrachten “3. Gesetzes” klar thematisiert worden sind.
Das “3. Gesetz” transformiert die bisherigen befristeteten Einschränkungen von der Ebene der einzelnen Landesverordnungen auf die Ebene eines Bundesgesetzes. Als einzig zusätzliche “Voraussetzung für die Anordnung von Schutzmaßnahmen” wird im überarbeiteten 3. Gesetz weiterhin nur gefordert, dass der “Bundestag gem. § 5 Abs. 1 S. 1 die epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt hat.” Allerdings gilt festzustellen, dass im § 5 Abs. 1 IfSG selbst “nach wie vor keine materiellen Voraussetzungen für diese Feststellung” geregelt sind, “so dass diese Verknüpfung nicht zur Vorhersehbarkeit der Maßnahmen beiträgt.” Vielmehr sind “Die einzelnen Maßnahmen, (…) nicht von weiteren, individuell zugeschnittenen Voraussetzungen abhängig.”
D.h. vergleichsweise milde Grundrechtseingriffe wie die Mundschutztragepflicht für die Dauer des Supermarktbesuchs werden von den gleichen Voraussetzungen abhängig gemacht wie Versammlungsverbote und das langfristige Schließen von Bildungseinrichtungen. In der Konsequenz bedeutet das, dass weiterhin die Exekutive die erforderlichen Abwägungen vornehmen muss. Es ist aber die Aufgabe des Gesetzgebers,darüber zu entscheiden, in welchen Situationen welche Maßnahmen überhaupt in Erwägung gezogen werden dürfen. Die Abstufung in Abs. 2, der von „schwerwiegenden“, „stark einschränkenden“ und „einfachen“ Schutzmaßnahmen spricht, die je nach den bekannten Schwellenwerten von 35 oder 50 Infektionsfällen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen zur Anwendung kommen sollen, scheint auf den ersten Blick eine Abwägung vorzugeben. Wenn aber § 28a an keiner Stelle regelt, was „schwerwiegende“, „stark einschränkende“ und „einfache“ Schutzmaßnahmen sind, bleibt diese Abstufung zu unbestimmt und letztlich unbrauchbar.
Das Video der Anhörung der Experten im Gesundheitsausschuss (vom 12.11.2020) findet sich hier:
Insbesonders die verfassungsrechtlichen Anmerkungen der von der Fraktion Die Linke (Dr. A. Kessler) befragten Juristin Jun.-Prof. Dr. Anika Klafki (ab min. 22:10) sind bemerkenswert klar: § 28a sei a) zu unbestimmt um tiefgreifende Grundrechtseingriffe zu legitmieren, b)
zu Recht verweist sie auf die im GG angelegten Anforderungen eines Gesetzes, dass in das GG eingreift (u.a. GG Art. 19 und 89; siehe unten). Dem Gesetz fehle es u.a. an der in Art. 19 (1) geforderten Grundsatz, dass wenn ein “Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, (…) das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten” muss. Außerdem
Die bisherige Fassung des Gesetzesentwurfs wurde nach der o.g. Anhörung sehr kurzfristig durch die Regierungsfraktionen an einigen Stellen in eine positive Richtung angepasst. Die grundsätzliche Kritik der Opposition bleibt jedoch, so dass die überarbeitete Fassung, gegen die Stimmen der AfD, FDP und der Linken mit der Mehrheit der CDU/CSU und SPD, sowie mit Zustimmung der Grünen am Nachmittag des 18.11.2020 angenommen wurde.
Auch wenn das Gesetz immerhin die Macht zurück ins Parlament holt, ist zu befürchten, dass trotzdem einer Willkür den Weg gebahnt wurde, die uns noch länger beschäftigen wird:
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- Sitzung, des Bundestages zu: Drittes Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite:
https://dbtg.tv/fvid/7484224 - Agenda: https://www.bundestag.de/resource/blob/805734/c52c5c53fb727d1da74e4e4cf1a6fc86/a06_to111_sosi-data.pdf
- urspr. Entwurf des Gesetzesentwurf CDU/CSU/SPD; BT-Drucksache 19/23944
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/239/1923944.pdf - juristische Stellungnahme Dr. A. Kießling, als geladene Einzelsachverständige für die öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages am 12.11.2020 (zur urspr. Fassung):
https://www.bundestag.de/resource/blob/805488/949a9f10230bb6b7a445ea5d2cdad74c/19_14_0246-7-_ESV-Kiessling-3-BevSchG-data.pdf
- Sitzung, des Bundestages zu: Drittes Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite: